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Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudygard Kipling
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Oberstallknecht. »Fahr fort, Bursche!«
    »No, weiter nichts!« sagte Klein-Tobrah. »Nur eines Tages - ich weiß nicht mehr, wann - da hat der große Balken das Dach heruntergerissen. Mit dem Dach ist ein großer Teil der Hauswand eingefallen und dem Ochsen auf den Rücken. Es hat ihm das Kreuz abgeschlagen. Wir hatten dann weder ein Haus mehr noch die Presse und auch den Ochsen nicht mehr - mein Bruder und ich und die Schwester, die blind war. Wir sind weinend fortgezogen, Hand in Hand, quer über die Felder und hatten nur sieben Annas und sechs Pies Geld. Dann sind wir in ein Land gekommen, da war Hungersnot. Ich weiß nicht mehr, wie das Land geheißen hat. Eines Nachts, als wir schliefen, hat mein Bruder die fünf Annas, die wir noch hatten, genommen und ist davon. Ich weiß nicht, wo hin er gelaufen ist. Der Fluch meines Vaters komme über ihn. Ich und meine Schwester sind in die umliegenden Dörfer betteln gegangen, aber niemand hat uns etwas gegeben. Immer hat's geheißen: ›Geht zu den Engländern, die werden euch etwas geben.‹ Ich hab nicht gewußt, was Engländer sind; ich hab nur einmal sagen hören, sie seien weiß und lebten in Zelten. Wir sind dann weitergezogen, so ins Ungewisse hinein, aber meine Schwester und ich hatten nichts mehr zu essen. Einmal, in einer heißen Nacht, da sind wir an einen Brunnen gekommen, und sie hat geweint und nach Brot geschrien. Da hab ich ihr gesagt, sie solle sich an den Rand setzen, und dann hab ich sie hinuntergestoßen. Sie hat ja nicht sehen können. Es ist besser, so zu sterben, als zu verhungern.«
    »Ai, Ai«, jammerten die Weiber im Chor; »er hat sie hinuntergestoßen! Es ist besser zu sterben, als zu verhungern!«
    »Ich hab mich auch hinunterstürzen wollen, aber sie war noch nicht tot und hat vom Grund des Brunnens nach mir geschrien und da hab ich mich gefürchtet und bin davongelaufen. Und dann ist einer aus den Stoppelfeldern herausgekommen und hat gesagt, ich hätte sie getötet und den Brunnen verunreinigt, und sie haben mich vor einen Engländer gebracht - er war weiß und furchtbar - und dann hierher. Aber gesehen hat niemand, daß ich es getan habe, und es ist doch besser zu sterben, als zu verhungern. Und dann war sie ja ein Kind und hat nicht sehen können.«
    »War nur ein Kind und hat nicht sehen können«, wiederholte die Frau des Oberstallknechtes. »Aber was bist du denn? Bist schwach wie ein Huhn und klein wie ein eintagaltes Füllen! Was bist denn du?«
    »Ich? Ich hab einen leeren Magen gehabt, aber jetzt, jetzt bin ich - satt«, sagte Klein-Tobrah und streckte sich im Sand aus. »Schlafen möcht ich jetzt.«
    Die Frau breitete eine Decke über Klein-Tobrah, und er schlief den Schlaf des Gerechten.

Naboth
    Diese Geschichte könnte eine Allegorie des indischen Kaiserreiches sein, aber abgespielt hat sie sich nichtsdestoweniger und zwar folgendermaßen:
    Ich begegnete Naboth am Rande meines Gartens. Er trug einen leeren Korb auf dem Kopf und ein schmutziges Tuch um die Lenden. Das war anscheinend seine ganze Habe - damals, als ich ihn zum ersten Male sah. Er eröffnete unsere Bekanntschaft mit Betteln, war sehr mager und trug fast ebensoviel Rippen zur Schau wie sein Korb. Er erzählte mir eine endlose Geschichte von Fieber und einem Prozeß und einem eisernen Kessel, den ihm das Gericht nach vorheriger Pfändung beschlagnahmt hätte. Ich griff in die Tasche, um Naboth zu helfen; haben doch auch bekanntlich orientalische Herrscher fremden Abenteurern bis zur Neige ihrer königlichen Schatzkammern geholfen! Ich fand eine Rupie in den Futterfalten meiner Westentasche - wußte gar nicht, daß sich eine solche dort verkrochen hatte - und reichte sie Naboth, gewissermaßen als ein direktes Geschenk des Himmels. Er versicherte mir, ich sei der einzig berufene Beschirmer der Armen, den er jemals im Leben gesehen hätte.
    Am nächsten Morgen erschien er wieder, ein wenig gerundeter an Körperfülle, ballte sich zu einem Knäuel auf meiner Veranda zusammen und beteuerte, ich sei sein Vater, seine Mutter und der direkte Abkömmling des indischen Götterpantheons - außerdem lenke ich fraglos die Geschicke des Universums. Er selbst hingegen sei nur ein geringer Zuckerwarenverkäufer und viel weniger, als der Staub zu meinen Füßen. Ich hatte derlei Hymnen schon oft gehört und fragte ihn daher, was sein Begehr sei. Meine Rupie, sagte Naboth, habe ihm die dauernden Wonnen des Paradieses erschlossen, nur ein Wunsch bliebe ihm noch, nämlich, in der

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