Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkles Indien

Dunkles Indien

Titel: Dunkles Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudygard Kipling
Vom Netzwerk:
Kirchspielbegräbnis schicken. Aber was ist's mit der Cholera? Man hört da neuerdings wieder allerhand Gerüchte«, sagte der Vorstand einer dividendenlosen Salzlecke.
    »Weiß nichts Genaues«, entgegnete der Deputatskommissar nachdenklich. »Es schwirrt durch die Luft wie Heuschrecken. Sporadisches Auftreten der Cholera oben im Norden - wir nennen's nämlich ›sporadisch‹ des Anstands halber. Die Frühlingssaat steht niedrig in fünf Distrikten, und die Leute haben schon fast vergessen, wie Regen aussieht. Dabei ist beinahe März. Ich will niemand verknobeln, aber mir scheint, die Natur wird heuer den Rotstift zur Hand nehmen. Noch im Sommer.«
    »Natürlich, gerade jetzt, wo ich mir Urlaub zu nehmen gedenke!« rief eine Stimme aus dem Hintergrund.
    »Viel Urlaub wird's dies Jahr nicht geben, wohl aber desto mehr Avancement! Ich bin hergereist, um der Regierung nahezulegen, daß mein Bewässerungskanalprojekt auf die Liste der Hungersnotstandsarbeiten gesetzt wird. Es weht ein böser Wind, der nichts Gutes verheißt. Der Kanal muß endlich fertig werden.«
    »Immer das gleiche, alte Programm also«, sagte Holden, »Hungersnot, Fieber, Cholera?«
    »Ach nein. Nur die übliche Schlamperei und ein besonders zahlreiches Auftreten der Saisonkrankheiten. Sie werden es nächstes Jahr in den Statistiken lesen, wenn Sie noch am Leben sind! Aber was denn Sie! Sie sind ein glücklicher Bursche: Sie haben kein Weib daheim, dessentwegen Sie sich sorgen müßten. Die Bergstationen werden heuer voll von Frauen sein!«
    »Ich glaube, Sie übertreiben ein wenig das Bazargeschwätz«, fiel ein junger Zivilbeamter des Sekretariats ein. »Ich habe beobachtet -«
    »So? Sie haben?« unterbrach der Kommissar. »Sie werden sehr bald noch viel mehr zu beobachten haben, mein Sohn. Inzwischen möchte ich Ihnen aber -« und er nahm den jungen Herrn beiseite, um mit ihm über das Kanalprojekt zu diskutieren, das ihm so am Herzen lag. Holden ging in seinen Junggesellen-Bungalow und es kam ihm mit aller Deutlichkeit zu Bewußtsein, daß er nicht allein auf der Welt war und der Furcht um ein anderes Wesen preisgegeben - die einzige Furcht des Menschen, die seiner Seele nützt.
    Zwei Monate später traf ein, was der Kommissar vorausgesagt hatte: die Natur nahm den »Rotstift« zur Hand. Der Frühlingsmißernte auf dem Fuß folgte der Schrei nach Brot, und, da die Regierung beschlossen hatte, niemand dürfe an Mangel sterben, schickte sie Weizen. Aber da kam die Cholera aus allen vier Richtungen der Windrose. Im Nu war eine halbe Million Menschen auf den Beinen und pilgerte zu irgendeinem heiligen Schrein. Viele starben zu den Füßen ihres Gottes; andere packte es »nur« und sie eilten durch das Land, die Pestilenz mit sich herumschleppend und von Dorf zu Dorf tragend. Das Volk belagerte die Eisenbahnzüge, hing auf den Trittbrettern und quetschte sich auf den Dächern der Waggons, aber - die Cholera folgte ihnen: auf jeder Station lud man Tote und Sterbende aus. Sie starben am Wegesrand und die Pferde der Engländer scheuten vor den Leichen im Gras. Kein Tropfen Regen wollte fallen und die Erde verwandelte sich in Eisen, damit die Menschen dem Tod nicht entrannen, indem sie sich eingruben. Die Engländer schickten ihre Frauen in die Berge und gingen an ihre gewohnte Arbeit, einander ersetzend, wenn der Vordermann erledigt war. Holden, fast krank vor Furcht, er könne sein Liebstes auf Erden verlieren, tat sein Bestes, Ameera zu überreden, mit ihrer Mutter ins Himalajagebiet zu fliehen.
    »Warum soll ich gehen?« fragte sie, als sie eines Abends wieder auf dem Dach saßen.
    »Überall wütet die Krankheit und das Volk stirbt dahin. Alle weißen mem-log sind bereits fort.«
    »Alle?«
    »Alle - höchstens ist noch hie und da ein Dickschädel zurückgeblieben und macht dem Gatten das Herz schwer, indem sie sich der Todesgefahr aussetzt.«
    »Oh, die dableibt, die ist meine Schwester, und du darfst sie nicht beschimpfen, denn ich will auch so ein Dickschädel sein. Ich bin froh, daß die Frechen der weißen mem-log alle fortgegangen sind.«
    »Spreche ich mit einer Frau, oder mit einem Kind? Geh in die Berge und ich werde dafür sorgen, daß du wie eine Königstochter reist. Denk nur, Kind: in einem rotlackierten Ochsengefährt, verschleiert und hinter Vorhängen, Messingpfauen auf dem Verdeck und rote Tuchbehänge! Zwei Ordonnanzen gebe ich dir mit zum Schutz, und -«
    »Still! Jetzt sprichst du wie ein Kind! Was soll mir dieser Tand? Tota

Weitere Kostenlose Bücher