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Dunkles Verhaengnis

Dunkles Verhaengnis

Titel: Dunkles Verhaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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auch wenn es keinerlei Beweise gegen ihn gab, abgesehen von seiner Anwesenheit dort, es passte einfach alles viel zu gut – Musiker, offensichtlich auf der Walz, offensichtlich mittellos, den Alkohol vom Vorabend aus jeder Pore ausdünstend (»Von der schwarzen Hautfarbe mal zu schweigen«, fügte ich hinzu) – er war für die Cops das gefundene Fressen.
    Am nächsten Morgen tauchte Steve Butler auf, der auswärts, auf einem Familienrechtskongress, gewesen war, um Kaution zu stellen und die Haftentlassung zu erwirken. Konnte immer noch nicht wieder in sein Haus, sagte er. Eldon hatte ihm vor dem Polizeirevier die Hand geschüttelt, war zu seinem Motorrad gegangen und hatte sich aus dem Staub gemacht . »Kein Ausdruck, den ich gewöhnlich benutze«, sagte er, »aber in Anbetracht der Umstände, Texas, Sheriffs auf meiner Fährte, bei Sonnenuntergang nicht mehr in der Stadt, scheint er mir recht angemessen.«

    Nachdem Officer Baxter gegangen war und sich auch Lonnie mit den Worten verabschiedet hatte, er werde die Telefonate nach Texas von zu Hause aus machen, saß ich da und dachte über den vorangegangenen Abend nach, während ich die Nummer des Cahoma County Hospital wählte und auf einen Bericht über Billy wartete, was wiederum lange genug dauerte, dass ich unsere Unterhaltung, Eldons und meine, zweimal im Kopf ablaufen lassen konnte. Die Schwester, die schließlich an den Apparat kam, blaffte ein »Ja?« in den Hörer und entschuldigte sich umgehend dafür, erklärte, dass sie wie gewöhnlich zu wenig Personal hätten und, vollkommen ungewöhnlich, fast ihre Kapazitätsgrenze für Patienten in ernstem oder lebensgefährlichem Zustand erreicht hätten.
    »Wegen einem davon rufe ich an«, sagte ich, nannte ihr Billys Namen und identifizierte mich selbst.
    Es ginge ihm, erfuhr ich, den Umständen entsprechend gut. Er war ohne Zwischenfall operiert worden und lag noch auf der Intensivstation. Es bestand immer noch die Möglichkeit eines Halswirbelbruchs, obwohl die Röntgenaufnahmen nicht eindeutig gewesen waren und eine Computertomographie nur in Memphis gemacht werden konnte. Sie hielten ihn einstweilen unter Beobachtung – stellten ihn ruhig,
erläuterte sie –, ließen dem Körper Zeit, sich von dem Trauma zu erholen.
    Ich bedankte mich und bat darum, das Büro sofort zu verständigen, falls es irgendeine Veränderung gab. Sie versprach, eine entsprechende Notiz vorn auf der Krankenakte anzubringen.
    Und ich saß da und dachte nach – während June fragte, ob es in Ordnung sei, wenn sie eine Weile hinausginge, während Daryl Coopers mit Glas beladener 48er Ford draußen vorbeimeckerte, während ein Gesicht und eine hohle Hand dicht an die einzige Fensterscheibe gelegt wurden, die noch da war. Fragil, hatte Doc gesagt. Und wer wüsste es besser? Er hatte eine Generation und fast eine ganze weitere kommen und gehen sehen. Hatte den meisten von Letzterer höchstpersönlich auf die Welt geholfen.
    Ich dachte über den Tod nach, darüber, wie lange es dauern kann zu sterben.
    Da war dieser Junge, damals im Gefängnis, Danny Boy nannten ihn alle. Es musste in seinem dritten oder vierten Monat gewesen sein, als er den Entschluss fasste, sich umzubringen. Versuchte, einen Abflug zu machen von der zweiten Etage, schaffte es aber lediglich, sich eine Hüfte und das andere Bein zu brechen, weswegen er für den kurzen Rest seines Lebens wie der Glöckner von Notre Dame
herumschlurfte. Dann versuchte er, sich das Handgelenk mit einer angeschliffenen Zahnbürste aufzuschneiden, beging aber den gleichen Fehler wie so viele andere, indem er quer statt in Längsrichtung schnitt, was ihm lediglich eine Woche im County Hospital einbrachte, mit Handschellen ans Bett gefesselt, und den jahrzehntealten Flecken auf seiner Matratze in der Zelle ein paar markante Exemplare hinzufügte.
    Während der folgenden sechs Monate bekam Danny Boy sein verkorkstes Leben weitgehend in den Griff, zumindest dachten das alle. Ging den Schlägern und Tricksern aus dem Weg, was schon mal zu neunzig Prozent garantiert, im Knast nicht unterzugehen, verbrachte die Tage in der Bibliothek, meldete sich zu freiwilligen Arbeitseinsätzen. Arbeitete sich hoch vom Küchendienst über den Bibliothekskarren zur Putzkolonne. Dann trank Danny Boy eines Samstagmorgens kurz nach Tagesanbruch ungefähr ein Liter von einer Suppe, die er sich zusammengepanscht hatte: Reinigungsmittel, Lösungsmittel, Bleichmittel, weiß der Teufel, was noch.
    Die ätzenden

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