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Dunkles Verhaengnis

Dunkles Verhaengnis

Titel: Dunkles Verhaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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Zehenspitzen gestellt hatte, zu uns hereinlinste und winkte. »Es ist eher so eine Art Hunger – wie es schwangere Frauen gibt, die den Putz von den Wänden essen, weil ihr Körper Calcium benötigt, obwohl sie nicht den geringsten Schimmer haben, was sie da tun. Was immer es genau ist, das diese Menschen brauchen, wenn sie den Weg zu uns finden, wir scheinen es nicht zu haben, und schließlich wird ihnen das auch klar. Normalerweise war’s das dann. Aber nicht immer.«
    Er zog Don Lees Bürostuhl auf Rollen mit dem Fuß zu sich heran und ließ sich darauf nieder.
    »Das Camp hier, das ist … so was wie eine Zweitauflage. Mein erster Versuch hat sich ganz zufällig ergeben. Ich wohnte mit einem Freund, einem Krankenpfleger, der auf der Intensivstation arbeitete, in einem alten Haus auf dem Land, also, das war noch damals in Iowa, und an den Wochenenden standen bei uns Freunde von überall aus der Umgebung auf
der Matte, aus Cedar Rapids, Des Moines, Moline, ja sogar aus Chicago. Manchmal reisten sie nicht ab am Sonntagabend, sie blieben dann noch ein oder zwei Tage länger. Manche blieben auch noch länger, und da das Haus ein alter Bauernhof war, hatten wir jede Menge Platz. Eines Tages sahen Merle und ich uns um, und wir hatten beide gleichzeitig den gleichen Gedanken: Das ist es doch! Zu diesem Zeitpunkt hatte sich fast ein Dutzend Leute mehr oder weniger bei uns niedergelassen.
    Aber Dinge, die einfach passieren, ändern sich, wenn man erst einmal anfängt, auf sie zu achten. Leute, die immer glücklich und zufrieden waren, Riesenportionen Spaghetti zu kochen, tauchen auf einmal zur Essenszeit nicht mehr auf, Joanies Brot wird schimmelig und muss dann an die Vögel verfüttert werden, Leute bleiben in ihren Zimmern oder gehen lieber in die Stadt … Nach sechs Monaten war alles vorbei. Gegen Ende saßen Merle und ich eines Nachmittags draußen in der Sonne. Er fragte, ob er mir Eistee nachschenken solle, füllte das Glas und reichte es mir. »Hat sich nicht so entwickelt, wie wir gehofft haben, wie wir es uns so schön ausgemalt haben, was?«, sagte er. Es war klar, dass es eine Weile dauern würde, erwiderte ich. Er war einige Augenblicke still, erzählte mir dann, er habe einen
Job drüben in Indiana, in der dortigen Universitätsklinik, und werde schon bald aufbrechen.
    Ich war nicht so sehr sauer darüber, dass er ging, sondern darüber, dass er es von langer Hand geplant hatte, Bewerbungen geschrieben hatte, ohne mir auch nur ein einziges Wort zu sagen. Du hattest ja dauernd was um die Ohren, erwiderte er, als ich das zur Sprache brachte. Und ich wollte gerade sagen: ›Ja, wenn wir mit dem Bau …‹, als mir klarwurde, dass ich erstens gar nichts baute und zweitens, dass ich nicht mal wusste, was genau es war, das ich zu bauen glaubte.
    Das war nicht exakt die Geschichte, die ich einige Jahre zuvor schon mal gehört hatte, aber so ist das mit dem Geschichtenerzählen. Wir alle tun das, ändern und modifizieren Erinnerungen, damit sie zu der Geschichte passen, die wir erzählen wollen, die Geschichte, die wir glauben wollen. Und vielleicht genügt es ja, dass der Erzähler die Geschichte glaubt, während er sie erzählt.
    »Das war die Langfassung«, sagte Isaiah genau in dem Moment, als das Telefon klingelte. Red Wilson, der sich über den bellenden Hund seines Nachbarn beschwerte. Red war erst kürzlich in die Stadt gezogen, nachdem er etwas über siebzig Jahre auf der Farm gelebt hatte. Das Stadtleben, wollte er mich
wissen lassen, ging ihm so langsam auf den einen Nerv, den er noch hatte.
    »Und die Kurzfassung?«, fragte ich Isaiah, nachdem ich Red versicherte, ich würde später am Nachmittag bei ihm vorbeischauen, und den Hörer auflegte.
    »Es gab eine Zeit, da war Sendepause, aber danach sind Merle und ich über die Jahre immer in Kontakt geblieben. Er wusste, was wir hier machen, und sagte immer wieder, er wolle vorbeikommen und es sich mit eigenen Augen ansehen. Vor drei Monaten hat er einen Termin genannt. Als er nicht wie geplant auftauchte, dachte ich, na ja, irgendwas wird im Krankenhaus dazwischengekommen sein. Oder, da er immer diese alten Klapperkisten fuhr, die im unpassendsten Moment ihren Geist aufgaben – vielleicht war’s das. Keine Antwort auf meine E-Mails. Ich habe sogar versucht, sowohl bei ihm zu Hause als auch im Krankenhaus anzurufen, aber er war nirgends zu erreichen.
    Gestern habe ich ihn schließlich gefunden«, sagte Isaiah. »Er wurde vor zwei Wochen auf dem Weg

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