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Dunkles Verhaengnis

Dunkles Verhaengnis

Titel: Dunkles Verhaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Sallis
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das Regenwasser angrenzender Dächer lief und wo nach jedem Regen Pilze aus dem Boden schossen.
    »Du hast nichts gesagt.«
    »Ich denke, wenn sich jemand nicht zu erkennen gibt, hat er dafür seine Gründe.«
    Eldon folgte mir auf die Veranda. Seit jenem Tag hatte ich nicht mehr oft dort draußen gesessen, aber die Stühle, die ich mit Zwirn repariert hatte, standen immer noch dort.
    »Was war da bei euch los?«, fragte er, machte es sich auf einem Sessel bequem und klemmte den Banjo-Kasten zwischen seine Füße.
    Ich erzählte ihm von Billy.
    »Lonnies Junge, stimmt’s?«
    Ich nickte.
    »Wird er wieder?«
    »Morgen wissen wir mehr.«
    Eldon starrte in den Wald. Ein leichter Wind kam auf, wie meistens am Abend. »Hier ist es wirklich unglaublich friedlich. Hatte ich vergessen.«
    »Solange man nicht zu genau hinschaut.«
    »Richtig. Was hat mal jemand gesagt? ›Frieden ist die Zeit, die es dauert, um nachzuladen.‹ Tja, ich
war ehrlich gesagt nicht sicher, ob ich hierherkommen sollte.«
    »Aber du bist gekommen.«
    »Sieht so aus.«
    »Und du bist auf einem Pferd gekommen. Wo ist der Planwagen?«
    »Vals Volvo? So ein Trottel unten in Texas hat ihn plattgemacht. Kam von einem Rastplatz, hat nicht in den Spiegel gesehen. Hatte anscheinend mehr als achtzig Meilen drauf, als er auf den Highway rauffährt. Und als ich ihn sah, war’s schon zu spät. Ich bin zwischen einem Sattelzug und der Leitplanke hin und her geprallt und hatte buchstäblich alle Hände voll zu tun, sonst niemanden zu rammen. Wird dich freuen zu hören, dass der Volvo seinem Ruf gerecht wird. Das sicherste Auto der Welt. Die Karre ist schrottreif, aber Homer und ich haben keinen Kratzer abbekommen.«
    »Homer?«
    »Val hat mir mal erzählt, sie nennt die Whyte Laydie manchmal Homer.«
    »Wie den blinden Dichter?«
    Er zuckte die Achseln. »Hast du meine Briefe bekommen?«
    »Hab ich. Und ich hätte auch geantwortet, wenn ich irgendeine Adresse gehabt hätte.« In den Monaten
nach Vals Tod waren diese Briefe für mich sehr wichtig geworden. Sie erzählten mir, wo Eldon sich herumtrieb, wohin er als Nächstes fuhr. Er schrieb einfach drauflos, über seine Gedanken und die Menschen, denen er begegnete. »Als keine mehr kamen, musste ich davon ausgehen, dass sie entweder den Zweck erfüllt hatten, den sie mal für dich hatten, oder aber dass der Zweck keine Rolle mehr spielte.«
    »Muss denn immer alles einen Zweck haben?«
    »Zweck, Grund, Motivation. Such dir ein Wort aus. Nicht, dass wir unsere Motive jemals völlig durchschauen – aber wir handeln nur äußerst selten willkürlich.«
    »Klingt verdächtig danach, als würdest du glauben, alles hätte eine Bedeutung, einen tieferen Sinn.«
    »Nicht so, wie die meisten denken. Wir sind nun mal gefangen in den Kategorien von Ursache und Wirkung. Irgendein großer Plan? Nein. Aber Verhaltensmuster findest du überall.«
    »Vielleicht ist das Ganze auch nichts weiter als eine Botschaft in einer Flaschenpost.«
    »Wie du dich erinnern wirst, habe ich einige Jahre meines Lebens damit verbracht, genau diese zu entziffern. Flaschenpostbotschaften gibt es üblicherweise in zwei Geschmacksrichtungen: Entweder heißt sie
RETTET MICH! oder aber IHR KÖNNT MICH MAL!«
    Er warf mir einen kurzen Blick zu, bevor die Bäume wieder seine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Tiefe Falten an Augen und um den Mund, das Haar fast bis auf die Kopfhaut rasiert und hie und da würdevoll grau meliert. Zwei Jahre. Und er sah um zehn Jahre gealtert aus.
    »Kann mich nicht erinnern, jemals zuvor Briefe geschrieben zu haben. Ich kann mich erinnern, zu dem Zeitpunkt gedacht zu haben: Wenn jemand ein hundert Jahre altes Banjo spielt, dann sollte er vielleicht auch hin und wieder einen Brief schreiben, das ist nur recht und billig … Hört sich an wie ein Spruch von ihr, was?«
    »Sie ist in jedem von uns, Eldon. Ein Teil dessen, wer wir sind, wie wir die Welt sehen.«
    »Hast du mal daran gedacht, dass Menschen vielleicht auch das Recht haben, einfach zu sterben, dass wir sie nicht für immer und ewig in uns tragen sollten?«
    »Natürlich. Aber wir tragen sie trotzdem in uns, bei allem, was wir tun.«
    »Oder nicht tun. Ja.«
    Keiner von uns, Lonnie nicht, Don Lee nicht, auch nicht J.T., Eldon oder ich selbst, hatte je offen über
das gesprochen, was am Tag nach Vals Tod oben in Memphis passiert war. Keiner von uns war damals da: Don Lee war nicht auf dem Posten gewesen, Lonnie kehrte von einer Geschäftsreise zurück, J.T. war

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