Scheherazade macht Geschichten
Eine Einführung,
in der es uns gelingt,
einen Bogen zwischen alten Problemen und neuen Katastrophen zu schlagen.
Dann bin ich also jetzt an der Reihe?
Nun, ich werde Euch eine Geschichte erzählen über Leben und Tod, über Dinge, von denen noch nie jemand zu träumen gewagt hat, und über Orte, die noch nie zuvor ein Mensch gesehen hat. In meiner Geschichte wird von den Geheimnissen der Tiere und dem innersten, dem wahren Wesen der Menschen die Rede sein, und die Ereignisse, von denen ich berichten werde, werden sich von jenen weit zurückliegenden Tagen, als es Bagdad noch nicht gab, bis hin in jene ferne Zukunft spannen, in der niemand mehr von uns auf dieser Erde weilen wird; eine Zukunft, in der man vergessen haben wird, was Ifrits sind, und in der man Zauberer bloß noch als die Ausgeburten einer kindlichen Phantasie betrachtet.
Was nicht heißen soll, daß ich so unbescheiden sein will, meine Geschichte als etwas Besonderes herauszustellen. Aber ich schweife ab.
Man hat Euch bereits von der Pracht Bagdads und den Wundern, die man in fremden Ländern finden kann, erzählt. Und sowohl der schlaue Sindbad, der einmal ein Lastenträger war, als auch der mutige Ali Baba, der sein Brot als Holzfäller verdiente, haben bewiesen, daß sie nicht nur tapfere Helden, sondern auch großartige Geschichtenerzähler sind. Wie könnte ich, eine bescheidene einfache Frau, zu hoffen wagen, ihre Berichte voller Magie und Abenteuer noch zu überbieten? Ich muß Euch gestehen, daß ich wohl ein etwas weniger aufregendes Leben als diese beiden Männer geführt habe, ganz wie es meinem Geschlecht und meiner gesellschaftlichen Stellung entspricht.
Doch damit will ich nicht behaupten, daß meine Geschichte jeglicher Spannung entbehrt, denn wie Ihr erfahren werdet, hing einmal mein Leben von meiner Redegewandtheit ab. Und hätten mir damals auch nur ein einziges Mal die richtigen Worte gefehlt, wäre mir der Kopf mit einem Schlag von den Schultern getrennt worden.
Ah, wie ich sehe, weckt dies das Interesse jenes großen und mächtigen Wesens, das uns hier gefangenhält und dessen Gnade wir hilflos ausgeliefert sind. Ja, selbst ein mächtiger Dschinn wie Ozzie kann an dem Blut unschuldiger Jungfrauen Gefallen finden – wenn es vergossen wird. Doch ich werde nicht nur von vergossenem Blut und unschuldigen Jungfrauen erzählen.
Denn wie Ihr noch hören werdet, schwebte in meinem Leben nicht nur ständig ein Damoklesschwert über meinem Haupte, nein, ich hatte auch noch unter weitaus weniger offenkundigen Bedrohungen zu leiden, die im Vergleich zwarharmloser erscheinen, aber nicht weniger gefährlich waren. Denn mein Leben verbrachte ich zum größten Teil abgeschieden von der Welt der Menschen. Es war ein Leben, zwar in Eurer Welt, aber doch vollständig getrennt von ihr.
Und das führte mich zu der Erkenntnis, daß es Geschichten innerhalb von Geschichten, Gedanken innerhalb von Gedanken und Leben innerhalb von Leben gibt. Und nun ist es meine Aufgabe, all diese Geschichten, all diese Gedanken, all diese Leben vor Euch zu offenbaren, in der Hoffnung, daß auch die Wahrheit innerhalb der Wahrheit zum Vorschein kommen möge.
Ich bitte Euch also, mir genügend Zeit und die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, damit ich Euch die ungewöhnlichste aller Geschichten von Scheherazade erzählen kann.
Das 1. der 35 Kapitel,
in dem es ein paar unglückseligen Mißständen
schnell an den Kragen geht.
So wisset denn, daß meine Geschichte auch die Geschichte vieler anderer ist. Zuerst einmal ist es die Geschichte zweier mächtiger Könige, von denen einer Shahryar hieß und in der prunkvollen Stadt Bagdad residierte. Sein jüngerer Bruder, der große König Shahzaman, war Herr über das angrenzende Samarkand.
Lange Jahre herrschten die beiden über ihre Untertanen, brachten ihnen Frieden und Wohlstand. Und so kam es, daß sie nicht nur in ihren Königreichen, sondern überall in der zivilisierten Welt zu den nobelsten und gütigsten aller Herrscher gezählt wurden.
Doch ein Mann, das ist mehr als ein Thron und das Talent zum Treffen weiser Entscheidungen. Und so kam es, daß der ältere der beiden Brüder, Shahryar, der wegen seiner Statur im Volke auch als der Große König bekannt war, von einer unstillbaren Sehnsucht nach seinem Bruder und Gefährten aus Kindertagen erfüllt wurde, den er in all den Jahren, die ihrer beider Herrschaft nun schon andauerte, nicht ein einziges Mal gesehen hatte. Daher sandte er seinen treuen
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