Durch den Sommerregen
finden.
„Du wirst aber den Schwestern heute nicht deine nackte Pracht präsentieren, oder?“, frage ich, als ich eine halbwegs komfortable Position an seiner unverletzten, nicht verkabelten Seite gefunden habe.
„Das war nicht der Plan“, sagt er und leckt sich über die trockenen Lippen, um weitersprechen zu können. „Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass die meisten der Damen schon alles gesehen haben oder in den nächsten Tagen noch sehen werden.“
„Davon kannst du ausgehen.“ Müde kuschele ich mich an seine Schulter und kann ein Gähnen nicht unterdrücken. „Kannst du dich an den Unfall erinnern?“, frage ich, denn erst jetzt fällt mir auf, dass er bisher keine einzige Frage darüber gestellt hat.
„Vage. Der Moment selbst war eine Überraschung, weil ich im Gegensatz zu Sam nicht richtig gesehen habe, was vor uns passiert. Aber ich habe gehört, was er dir vorhin erzählt hat. Das hat ein paar Puzzleteile zusammengebracht.“
„Was weißt du denn noch? Du musst nicht antworten, wenn du zu erschöpft bist.“
„Nein, schon okay.“ Er greift in meine Haare und drückt mich eng genug an sich, um schnuppern zu können. „Ich denke, Sam hat mir das Leben gerettet. Hast du nicht gesehen, wie blutverkrustet seine Fingernägel noch waren?“
„Nein, das ist mir nicht aufgefallen.“ Offenbar war er vorhin doch wacher, als wir dachten.
Nur der Gedanke an den Unfall schnürt mir die Kehle zu.
„Er hat die ganze Zeit die Wunde abgedrückt, bis der Notarzt kam. Ich hab eine Menge Blut verloren, darum bin ich irgendwann bewusstlos geworden, aber ohne Sam wäre ich verblutet.“
Und ich dumme Kuh wäre ihm fast ins Gesicht gesprungen.
„Warum bist du überhaupt mit ihm mitgefahren? Vor allem bei dem Wetter?“ Gabriel ist kein großer Fan von Fahrzeugen mit weniger als vier Rädern, deswegen verwundert mich das umso mehr.
„Der Bus ist nicht angesprungen, aber ich hatte auch keine Zeit mehr, nachzuschauen, was nicht stimmt. Ich wollte doch unbedingt dabei sein. Also hat Sam mich auf dem Weg eingesammelt.“
„Ich muss dir was sagen, Gabriel.“ Das kann ich einfach nicht für mich behalten. Er muss es wissen.
„Du kannst mir alles erzählen, Helena. Weißt du das denn immer noch nicht?“
Doch, das weiß ich.
„Als du nicht gekommen bist, da war ich wütend auf dich. Und enttäuscht. Ich habe gedacht, dass du nur einer von den Schwätzern bist, der seine Freundin vergisst, sobald sich Interessanteres bietet. Und dann kommt Markus und erzählt von dem Unfall. Ich hab wirklich gedacht, die Vergangenheit wiederholt sich und dass es bei mir immer so sein wird.“
„Was ist dann passiert?“ Er bemüht sich, aber seine Aufmerksamkeit lässt nach und ihm fallen wieder die Augen zu.
„Nichts ist passiert, nicht wirklich. Nur deine Mutter. Sie hält ziemlich imponierende Ansprachen.“
Gabriel lächelt.
„Sie sagt nicht oft etwas, aber wenn sie es tut, dann mit beeindruckender Präzision.“
Und schon ist er wieder eingeschlafen. Es ist merkwürdig und ein wenig beängstigend ihn so zu sehen, denn unter normalen Umständen ist er nicht der Typ, der sich morgens noch dreimal die Decke über den Kopf zieht, sondern sofort aufsteht, wenn er wach ist. Natürlich sind die Umstände nicht vergleichbar, doch sie machen mir deutlich, wie verletzbar er ist und dass ich ihn heute fast verloren hätte.
34.
Mein Vater war kein großer Freund von Sebastian, er hat auch nie mehr Worte als unbedingt nötig mit ihm gewechselt. Ich habe es immer auf väterliche Eifersucht geschoben, aber wenn ich ihn jetzt mit Gabriel beobachte, dann bin ich mir da nicht mehr sicher. Die beiden haben sofort eine Verbindung und tausend Themen, über die sie sich austauschen können. Innerhalb weniger Minuten bin ich völlig abgeschrieben und das ist in dem Fall ein richtig gutes Gefühl.
Meine Eltern sind zu Gabriel gekommen, um sich eine von den kleinen Katzen auszusuchen. Bis vor einem halben Jahr hatten sie selbst noch eine Perserkatze, die aber leider einen Ausflug in den Straßenverkehr nicht überlebt hat. Meine Mutter hat seitdem immer wieder davon gesprochen, sich eine neue anzuschaffen und da habe ich natürlich gleich die Gelegenheit ergriffen, ihnen von Hunds überraschendem Wurf zu erzählen und ihnen gleichzeitig Gabriel vorzustellen.
Es ist einfach an der Zeit. Viel wichtiger ist allerdings, dass es sich richtig anfühlt. Ich kann nicht weiter so tun, als hätten wir auf Dauer keine Chance.
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