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Durch Zeit und Raum

Durch Zeit und Raum

Titel: Durch Zeit und Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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Abstammung winselt.
    »Gaudior«, sagte Meg leise vor sich hin. » Die größere Freude . Ein schöner Name für ein Einhorn. Gaudior und Ananda. Die Freude am Sein, ohne die das Universum nicht fortbestehen könnte . Ist unsere Welt freudlos geworden? Geht es uns deshalb so schlecht?« Nachdenklich streichelte sie Ananda und hielt sich dann die Hand vor die Augen: sie strahlte geradezu die Wärme ab, die sie von den Flanken des Tieres empfangen hatte. »Ich habe Charles Wallace gesagt, daß ich kaum noch kythen kann. Wahrscheinlich habe ich mich endgültig in die Welt der Erwachsenen verirrt. Wie hast du nur herausbekommen, daß wir dich jetzt brauchen, Ananda? Denn wenn ich dich berühre, gelingt es mir, intensiver zu kythen als je zuvor.«
    Sie legte die Hand von neuem auf das einladende Fell, schloß die Augen und nahm alle Kraft zusammen.
    Meg sah weder Charles Wallace noch das Einhorn. Sie sah weder die vertraute Erde mit dem Sterngucker-Felsen, dem Wald und den Hügeln, noch den nächtlichen Himmel mit den zahllosen Galaxien. Sie sah nichts. Überhaupt nichts. Da war kein Wind, auf dem man reiten oder von dem man fortgewirbelt werden konnte.
    Da war nichts. Da war nicht einmal mehr sie selbst. Es gab keine Dunkelheit und kein Licht. Es gab nichts zu sehen, zu hören, zu berühren, zu riechen oder zu ertasten. Kein Schlafen und kein Wachen. Kein Träumen und kein Wissen.
    Nichts.
    Und dann: die ungeheure Freude.
    Alle Sinne erweckt und belebt und von Freude erfüllt.
    Da war die Dunkelheit, und sie war gut. Und da war das Licht.
    Das Licht und die Dunkelheit im gemeinsamen Tanz; gemeinsam geboren; eines aus dem anderen, keines zuerst, keines zuletzt; sie ergänzten einander und blieben doch in sich ein Ganzes; ein Ganzes im freudvollen Zusammenklang.
    Die Sterne des Morgens sangen mit, und die Uralten Harmonien waren neu und schön, neu und schön und gut.
    Und dann wandte sich einer der flirrenden Sterne der Dunkelheit zu und saugte sie in sich ein, und als er sie in sich aufnahm, wurde er selbst das Dunkle, und das Dunkle wurde zur Finsternis und war nicht länger neu und gut, und auch das Licht war nicht länger neu und gut. Ein Kreischen schrillte durch die Herrlichkeit der Harmonien, ein Fauchen und Zischeln, ein Lachen, ein schreckliches Lachen, das ohne jede Freude war, furchterregend, abscheulich: ein Mißklang.
    Mit seltsamer Gewißheit erkannte Meg, daß sie jetzt miterlebte, was mit Charles Wallace geschah. Sie sah weder ihn noch das Einhorn, aber was sie erfuhr, erfuhr sie durch seine Erfahrung.
    Der Bruch der Harmonien war schmerzhaft, war brutale Qual, aber die Harmonien erhoben sich sieghaft über den Schmerz, und die Freude wurde wieder durchpulst vom Licht, und das Licht und die Dunkelheit fanden von neuem zusammen und teilten sich in die Vollkommenheit.
    Sterne und Sternscharen flogen vorbei, kamen näher und immer näher, bis aus den vielen Galaxien eine einzige Galaxis wurde, aus der Galaxis ein Sonnensystem, aus dem Sonnensystem ein Planet. Welcher, ließ sich nicht sagen, denn er war erst im Entstehen. Dampfende Wirbel waberten von seiner schmelzheißen Kruste hoch. In diesem vorzeitlichen brodelnden Hexenkessel gab es kein Leben.
    Dann kamen die Reiter auf dem Wind, und als sie alle versammelt waren, sangen sie die Uralten Harmonien, und noch war die Musik jung und neu, und ein sanfter Wind kühlte den Brand. Da verwandelte sich das Schmelzen und Brodeln und Flammen und Dampfen in Regen, in endlosen Regen. Zeitalter um Zeitalter barsten die Wolken; und in unerschöpflicher Fülle hüllten die niederprasselnden Wasser den Planeten in heilsame Dunkelheit – bis die Wolken endlich leer wurden, oder nahezu leer, und ein zartes Licht stahl sich aus ihren Schleiern und tastete über die Glätte des Ozeans und tauchte alles in seinen Glanz: den fahlen Glanz einer weltgroßen Perle.
    Land hob sich aus den Meeren, und seine Böden begannen zu tragen. Aus kleinen hellen Sprossen wuchsen mächtige Stämme, baumhohe Farne. Und die Luft war frisch und roch nach Sonne und Regen, nach dem Grün der Bäume und Pflanzen und dem Blau des Himmels.
    Die Luft wurde schwer und schwül vom Dunst. Wie dröhnendes Erz brannte die Sonne über der dichten Wolkendecke. Am Horizont schimmerte die Hitze. Durch das Geäst der Farnbäume stieß ein kleiner grünlicher Kopf auf einem langen, gedrungenen Hals, einem plumpen, massigen Leib. Der Hals pendelte rhythmisch; die schmalen Augen blickten starr.
    Wolken

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