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Durch Zeit und Raum

Durch Zeit und Raum

Titel: Durch Zeit und Raum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine L'Engle
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verdeckten die Sonne. Der heiße Wind erkaltete. Die Farne verkümmerten und welkten dahin. Die Dinosaurier flohen vor der Kälte und starben, als ihre gemarterten Lungen den plötzlichen Temperatursturz nicht mehr verkrafteten. Unerbittlich kroch das Eis übers Land. Ein großer weißer Bär kam getrottet, schnüffelnd, auf Nahrungssuche.
    Eis und Schnee, und dann wieder Regen; und zuletzt brach wieder die Sonne durch die Wolken, und alles wurde wieder grün, und es gab wieder Gras und Bäume und bei Tag die Bläue des Himmels und des Nachts das Glitzern der Sterne…
    Das Einhorn und der Junge waren auf einer freundlichen grünen Lichtung mitten im Wald.
    »Wo sind wir?« fragte Charles Wallace.
    »Hier natürlich«, erwiderte das Einhorn kurz angebunden.
    »Hier?«
    Gaudior schnaubte. »Erkennst du es nicht wieder?«
    Charles Wallace schaute sich in der fremden Umgebung um. Baumhöhe Farne reckten ihre Fiederäste in den Himmel, als wollten sie das Blau trinken.
    Der Junge wandte sich wieder dem Einhorn zu. »Hier war ich noch nie.«
    Gaudior schüttelte verwundert das Haupt. »Aber es ist doch dein eigenes Wo, wenn auch nicht dein eigenes Wann.«
    »Mein eigenes – was?«
    »Dein Wo. Wo du gestanden hast, um die Mächte des Himmels anzurufen, und in das ich dir geschickt wurde.«
    Erneut versuchte Charles Wallace sich in dieser fremden Gegend zurechtzufinden. Er zuckte mit den Schultern.
    »Es ist ein ziemlich anderes Wann«, räumte Gaudior ein. »Du bist es wohl nicht gewohnt, durch die Zeit zu gehen?«
    »Doch. Seit fünfzehn Jahren.«
    »Aber nur in eine Richtung.«
    »Ach so!« Jetzt begann er zu begreifen. »Dies hier ist also nicht meine – meine gewohnte Zeit. Heißt das, daß wir uns hier nach wie vor an derselben Stelle befinden, beim Sterngucker-Felsen, zwischen dem Wald und dem Haus – aber in einer anderen Zeit?«
    »Wir Einhörner gehen müheloser durch die Zeit als durch den Raum. Solange wir nicht genauer wissen, was man von uns erwartet, bleibe ich lieber im selben Wo.«
    »Du weißt also, wo wir hier sind, soll heißen: wann wir hier sind? Ist es die Vergangenheit oder die Zukunft?«
    »Ich glaube, ihr sagt dazu: Es war einmal vor langer, langer Zeit .«
    »Wir sind demnach nicht in der Gegenwart.«
    »Aber selbstverständlich! Wo immer wir sind, sind wir in der Gegenwart!«
    »Schon möglich, nur nicht in meiner . Wir sind nicht in dem Wann, in dem wir waren, als du zu mir gekommen bist.«
    »Als ich zu dir gesandt wurde«, wies ihn Gaudior zurecht. »Und nicht das Wann ist von Bedeutung, sondern: was im Wann geschieht. – Bist du bereit für die Reise?«
    »Aber sagtest du nicht, wir seien schon hier? Wo einmal der Sterngucker-Felsen war – oder, vielmehr: wo er einmal sein wird?«
    »Ja, das habe ich gesagt.« Gaudiors Hufe scharrten über das sattgrüne Gras. »Wenn du erreichen willst, was dir zu erreichen aufgetragen wurde, mußt du dich auf die Reise machen.«
    »Durch die Zeiten?«
    »Durch die Zeiten, ja. Und durch die Menschen.«
    Charles Wallace starrte das Einhorn entgeistert an. »Durch – die…?«
    »Menschen«, sagte Gaudior. »Du wurdest berufen, ihr Soll-Sein zu finden, ihre Entscheidung, eine Möglichkeit unter vielen zu wählen. Und dazu mußt du nach Innen gehen.«
    »Nach – Innen? Ich soll eine andere Gestalt annehmen? Ein anderes Leben? Ich weiß nicht, ob ich das kann.«
    »Warum solltest du es nicht können?« fragte Gaudior.
    »Aber – wenn ich jemand anderer werde, was geschieht dann mit mir? Mit meinem eigenen Körper?«
    »Dafür ist gesorgt.«
    »Bekomme ich – bekomme ich mich wieder zurück?«
    »Wenn alles gut geht: ja.«
    »Und wenn nicht alles gut geht?«
    »Daran wollen wir gar nicht erst denken.«
    Charles Wallace schlang die Arme um die Schultern, als friere er plötzlich. »Und da wunderst du dich noch, daß ich Angst habe?«
    »Natürlich hast du Angst. Glaubst du, ich fürchte mich nicht?«
    »Gaudior, die Vorstellung, in einem anderen Körper aufzugehen, jagt mir nicht weniger Angst ein, wenn du mir das wie nebenbei zu verstehen gibst. Sage mir lieber, was einstweilen mit mir geschieht.«
    »Das weiß ich selbst nicht genau. Aber du gehst nicht verloren. Du bleibst du. Falls alles gelingt.«
    »Und trotzdem werde ich zugleich jemand anderer?«
    »Wenn du dich ihm öffnest.«
    »Ich muß also in einen anderen Körper schlüpfen. Und werde ich stark genug für – für beide sein?«
    »Vielleicht«, meinte Gaudior zögernd. »Vielleicht ist aber

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