Durch Zeit und Raum
unsere Sprache sprichst?«
Wieder wieherte das Einhorn. Der Klang war durchsichtig, hell, ein Zerplatzen silberheller Bläschen. »Wer sagt denn das? Ich spreche die Uralten Harmonien.«
»Und wieso kann ich dich verstehen?«
»Du bist sehr jung, doch gehörst auch du zur Unvergänglichen Musik.«
»Und du weißt, wie ich heiße?«
»In diesem Hier und Jetzt nennt man dich Charles Wallace. Ein guter Name. Er soll uns fürs erste genügen.«
Charles Wallace reckte sich auf die Zehenspitzen und legte dem Einhorn die Arme um den Hals. »Und wie soll ich dich nennen?«
»Wie war’s mit: Gaudior?« Das Wort hallte vom Felsen wie kleine Glocken zurück.
Charles Wallace betrachtete nachdenklich das schimmernde Licht, das vom Horn des Tieres ausging. » Gaudior . Das ist Latein. Das heißt: Die größere Freude .«
Das Einhorn wieherte seine Zustimmung.
» Gaudior und Ananda «, sagte Charles Wallace. » Die Freude am Sein, ohne die das Universum… «
Gaudior ließ den Huf über die Felsen scharren: silberne Trompeten. »Versuche nicht, deinen Verstand zu weit zu treiben.«
»Aber das Gaudior habe ich doch richtig verstanden?«
»In gewissem Sinne: ja; in gewissem Sinne: nein.«
»Du bist wirklich, und du bist unwirklich. Was ich sage, ist wahr, und es ist unwahr.«
»Was ist schon die Wirklichkeit? Was ist schon die Wahrheit?« Gaudiors Stimme: ein Kristall; ein Kristall wie sein Horn.
»Und was erwartet man nun von mir, nachdem ich die Macht der Himmel angerufen habe und du daraufhin gekommen bist?«
Gaudior wieherte. »Die Himmel mögen mich ausgesandt haben, aber meine Macht ist präzise umschrieben und hält sich in engen Grenzen. Man hat mich zum ersten Mal auf euren Planeten geschickt. Und meine Mission gilt als – wie sagt ihr dazu? – als: Himmelfahrtskommando.« Das Einhorn neigte wie zur Entschuldigung das Haupt.
Auch Charles Wallace hielt den Blick gesenkt. »Wir haben uns nicht gerade mustergültig aufgeführt, willst du wohl sagen?«
»Die Stimmen jener mehren sich, die dafür eintreten, eure Selbstvernichtung zuzulassen. Doch würde sie uns alle betreffen, und keiner weiß, welche Folgen sie für uns hätte. Und so lange es unter euch auch nur einige gibt, die zur Unvergänglichen Musik gehören, seid ihr nach wie vor unsere Brüder und Schwestern.«
Charles Wallace fuhr sanft über Gaudiors edle Nüstern. »Was muß ich also tun?«
»Wir haben ein gemeinsames Ziel«, sagte das Einhorn. Es knickte graziös die Beine unter den Leib und lud Charles Wallace so ein, auf seinem Rücken Platz zu nehmen. Trotzdem hatte der Junge einige Mühe, aufzusitzen und sich an der silbernen Mähne anzuklammern. Um Halt zu finden, preßte er die Beine in den Gummistiefeln so eng wie möglich gegen die Flanken des Tieres.
»Bist du schon einmal auf dem Wind geritten?« fragte Gaudior.
»Nein, nie.«
»Wir müssen vor den Echthroi auf der Hut sein«, warnte Gaudior. »Auch sie reiten auf dem Wind, um uns aus der Bahn zu schleudern.«
» Echthroi .« Seine Augen verdunkelten sich. »Das heißt: der Feind .«
»Echthroi«, wiederholte Gaudior. »Der Feind seit Anbeginn. Er, der die Harmonien zerstört, der die Heerscharen der Zerstörung um sich gesammelt hat. Sie sind überall im Universum.«
Charles Wallace fühlte kalte Schauder über den Rücken laufen.
»Halte dich an meiner Mähne fest«, gebot das Einhorn. »Wir müssen jederzeit damit rechnen, einem Echthros zu begegnen; und wenn das geschieht, wird er versuchen, dich aus dem Sattel zu werfen.«
Weiß traten die Fingerknöchel auf seinen Händen hervor, als Charles Wallace sich in die dichte Mähne des Einhorns krallte. Gaudior lief los, glitt über den Grashalmen dahin, über den Hügeln, schwang sich hinauf in den Wind und trieb auf ihm, höher und immer höher, den Sternen entgegen…
Ich rufe die Sonne im gleißenden Brand
I n ihrer Dachkammer wandte sich Meg fragend an Ananda, die freundlich mit dem Schwanz auf die Bettdecke klopfte: »Was hat das alles zu bedeuten?«
Ananda beschränkte sich auf neuerliches Schwanzwedeln und weckte damit das Kätzchen auf. Es schnaufte leise und unbeteiligt und machte es sich am anderen Ende des Kopfkissens bequem.
Meg schaute wieder auf den alten Wecker, der seit eh und je auf dem Bücherbord stand. Die Uhrzeiger hatten sich offenbar überhaupt nicht weiterbewegt. »Was geht da vor sich? Ich begreife es nicht.«
Ananda winselte leise – wie eben ein ganz gewöhnlicher Hund von zweifelhafter
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