Durcheinandertal
Krähenbühl richtete mit Hilfe zweier bierbäuchiger Subjekte, die aus dem Liechtensteinischen kamen, das Kurhaus ein, doch so, daß niemand vom Dorfe es bemerkte. Die Läden blieben geschlossen. Die Fauteuils, Sofas, Ohrensessel und Luxusbetten wurden durch den unterirdischen Gang auf dem Boden der Dependance verstaut. Eine Basler Agentur übernahm die Werbung. Auf Glanzpapier. Illustriert von Erni. ›Freude durch Armut‹. Anfang Mai wurde Moses Melker brieflich benachrichtigt, sein Wunsch nach einer Erholungsstätte für Millionäre sei von Anhängern seiner Theologie verwirklicht worden, am 15. Mai werde das Kurhaus eröffnet, seine Anwesenheit sei dringend nötig. Um das Organisatorische brauche er sich nicht zu kümmern, er solle sich ausschließlich auf seine seelsorgerische Aufgabe konzentrieren und alles weitere der Society überlassen. Hätte 31
Moses Melker seine Begegnung in Santa Monica (wenn es Santa Monica war) mit Uriel und sein seltsames Gespräch mit Michael auf dem Rückflug von den Vereinigten Staaten nicht verdrängt, wäre er nachdenklich geworden, hätte er vielleicht gespürt, daß er sich in einem Netz verfing, welches nicht aus Bosheit gesponnen war, sondern weil es in der Natur des Großen Alten lag (wenn es der Große Alte war), ein solches Netz zu spinnen, er spann es einfach, so wie es in der Natur der Spinne liegt, ein Netz zu spinnen, ohne an eine bestimmte Fliege zu denken, sondern nur an Fliegen, und in Melkers Natur lag es hineinzugeraten, so wie Fliegen ins Netz geraten, ob aus Zufall oder aus Notwendigkeit war philosophische Ansichtssache, eine durch nichts zu beweisende Glaubensangelegenheit. Ins Kurhaus kam Moses Melker am 13. Mit Cäcilie. Sie hatte zu seiner Verwunderung, die eigentlich eine Bestürzung war, darauf bestanden mitzukommen. Als Problem stellte sich der Transport heraus.
Aus Pietät zu seiner ersten Frau Emilie Lauber hatte Melker ihren Rolls-Royce weiter verwendet. Er war nun ein Oldtimer.
Er war ohne sich zu bücken zu betreten, eine kleine Treppe kam einem entgegen, öffnete man die hintere rechte Wagentüre. Die Tonnen von Pralinen, die Cäcilie Melker-Räuchlin in ihrem Leben gegessen hatte, machten es ihr schier unmöglich, in den Rolls-Royce zu steigen, doch sie quetschte sich hinein. August, der Sohn des Garagisten von Grienwil, fuhr die beiden, Melker vorne, weil er neben Cäcilie nicht mehr Platz fand. Um acht Uhr morgens verließen sie Grienwil, bis Meiringen ging es flott, dann machten die Pässe dem Rolls-Royce schwer zu schaffen. Um fünf nachmittags kamen sie todmüde an. Von der Dependance latschte ein Mann herüber.
Er trug einen Overall. Ob jemand da sei, fragte Moses Melker.
»Ich«, antwortete der Mann und betrachtete argwöhnisch den Rolls-Royce. Er sei Moses Melker, stellte sich Moses Melker 32
vor und stieg aus dem Rolls-Royce. »Offenbar«, sagte der Mann. Ob sie angekommen seien, fragte Cäcilie. Ihre Stimme war schleppend. Cäcilie hatte mit Kirsch gefüllte Truffes gegessen. »Angekommen«, bestätigte Moses Melker. Portier und Gepäckträger würden zusammengetrommelt. Es gebe keinen Portier und keine Gepäckträger, sagte der Mann.
»Wieso?« fragte Moses Melker verwundert. Sie seien hier im
›Haus der Armut‹, erklärte der Mann. Das Kurhaus heiße jetzt so. Die Basler Werbeagentur habe es so getauft. Moses Melker reklamierte, übermorgen werde das Kurhaus – Das ›Haus der Armut‹, korrigierte ihn der Mann. Das ›Haus der Armut‹
eröffnet, fuhr Melker fort. Es hätten sich mehr Gäste angemeldet, als er habe hoffen dürfen. Personal sei nötig, viel Personal. Wer denn diesen Blödsinn angeordnet habe. Die Swiss Society for Morality, antwortete der Mann. Die Society habe sich hier nicht einzumischen, protestierte Melker. Sie habe hier zu befehlen, erklärte der Mann, bei der sei er angestellt und sei Melker angestellt. Was los sei, wann sie endlich in den Ostturm komme, reklamierte Cäcilie aus dem Innern des Rolls-Royce. Wo die Gepäckträger blieben. Der Ostturm dürfe weder vermietet noch betreten werden, sagte der Mann. Er könne ihr bloß den Westturm abieten. Wer das angeordnet habe, fragte Cäcilie. Auch die Swiss Society for Morality, antwortete der Mann. Cäcilie befahl August, sie nach Grienwil zurückzufahren. Dieser gab Melkers Gepäck heraus, schloß den Kofferraum und fuhr davon. Jetzt müsse er eben ohne seine Frau auskommen, seufzte Moses Melker. »Nur Mut«, sagte der Mann. Wer er eigentlich sei,
Weitere Kostenlose Bücher