Durcheinandertal
fragte Moses Melker. »Direktor Krähenbühl«, sagte der Mann und trottete in die Dependance zurück. Melker mußte seinen Koffer selber ins Kurhaus schleppen. Der Lift war außer Betrieb. Der Koffer war schwer, er hatte auch sein Manuskript ›Preis der Gnade‹
mitgenommen, woran er weiterzuarbeiten gedachte. Endlich im 33
obersten Stockwerk angekommen, hörte er aus dem Ostturm singen. Er schleppte seinen Koffer, von einem plötzlichen und unerklärlichen Trotz erfaßt, zum Ostturm hinauf und öffnete die Türe, trat ein. Hinter einem Tisch saßen drei Rabbiner. Alle drei trugen schwarze Hüte, Sonnenbrillen, schwarze kaftanartige Mäntel und sangen. Der mittlere hatte einen weißen, der rechts von ihm einen roten und der links einen schwarzen Bart. Alle drei Bärte wucherten wild. Hinter ihnen war ein Fenster. Moses Melker setzte sich auf seinen Koffer und hörte den singenden Rabbinern zu. Dann hörten sie auf zu singen. Der Rabbiner mit dem weißwilden Bart nahm seine Sonnenbrille ab, doch hielt er seine Augen geschlossen. Moses Melker, begann er, habe das Verbot mißachtet und ein Zimmer betreten, das nicht für ihn bestimmt sei. »Vergebung«, murmelte Melker. Das fehlende Personal habe ihn verwirrt.
»Verwirrt?« wunderte sich der Rabbiner mit dem wildroten Bart und nahm seine Sonnenbrille ab, ohne die Augen zu öffnen. Moses Melker wolle eine Andachts- und Troststätte für die Reichen führen und verlange Personal! Aber dazu brauche man eben Personal, erklärte Moses Melker, sie müßten das begreifen. Er sei immer noch fassungslos. Auch das Führen einer Andachtsstätte sei eine Organisationsfrage. »Du Kleingläubiger«, begann nun der wildschwarzbärtige dritte, legte seine Sonnenbrille ab und hatte überhaupt keine Augen, nur leere Höhlen. Im ›Haus der Armut‹ würden die Reichen das Personal sein. Moses Melker erhob sich. Entsetzt über seinen Unglauben rannte er mit seinem Koffer, trotz dessen Schwere, zum Westturm.
Die Gäste kamen zur Hauptsache aus den Vereinigten Staaten. Vor allem Witwen, angeführt von der Witwe eines Präsidenten. Aber auch Europa war vertreten: Nicht nur durch 34
Witwen, ebenso durch Großindustrielle, Privatbankiers, Generaldirektoren, Investoren und Spekulanten, Immobilienmagnaten und Börsenhengste usw. Nach ihrer Ankunft standen sie verdutzt bei mittelmäßigem Wetter neben ihren Koffern auf dem Platz vor dem Kurhaus und dichtgedrängt im Musikpavillon, so viele waren gekommen, eine milliardenschwere Pilgerschar, süchtig nach einem neuen Abenteuer, während die Fahrer, die sie in Taxis und Luxuslimousinen hergebracht hatten, in langen Kolonnen talaufwärts heimfuhren. Alle waren beunruhigt, weil kein Personal sich zeigte. Endlich erschien Moses Melker im Hauptportal. Alles verstummte. Moses Melker war ein Redner, dem man glaubte, daß er glaubte, was er sagte. Er ging vom Worte Jesu aus, überliefert von den drei synoptischen Evangelien, es sei leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher ins Reich Gottes komme, und von der Antwort Christi auf die entsetzte Frage der Jünger, wer denn selig werden könne, lautend, bei den Menschen sei’s unmöglich, aber bei Gott seien alle Dinge möglich. Selig seien, fuhr Melker fort, die da arm am Geiste seien, denn das Himmelreich sei ihr. Arm an wessen Geist? Am Geist des Großen Alten im Himmel (womit Melker den Gott mit Bart meinte)? Dann wären sie nicht selig, sondern unselig; Nein, selig seien, die da arm am Geiste des Menschen seien, die Armen, denn der Geist des Menschen sei das Geld, pecunia auf lateinisch, stammend von pecus, Vieh. Geld sei viehisch. Aus dem Tauschhandel Vieh gegen Vieh, Kamel gegen Kamel, sei Vieh gegen Geld, Kamel gegen Geld, Wert gegen Wert geworden. Mit dem Geld werte der Mensch. Darum fuße alles, was der Mensch tue, auf Geld, seine Kultur und seine Zivilisation, und darum sei alles, was der Mensch mit und durch Geld tue und bewirke, das Gute und das Schlechte, der gewaltige Kreislauf der Geschäfte mit dem Brot für Brüder und 35
mit der Not für Brüder, mit dem, was uns kleide, und mit dem, was uns entkleide, mit Lebens- und Unlebenswertem, mit Bleibendem und Vergänglichem, mit Notwendigem und Überflüssigem, mit Kunst und Kitsch, mit Kinematographie und Pornographie, mit uneigennütziger Liebe und käuflicher Liebe, eitel. Des Menschen und nicht des Großen Alten Werk.
Wenn aber der Arme, der nichts besitze, das Himmelreich besitze, besitze der, der
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