Durcheinandertal
besitze, das Himmelreich nicht, er sei durch seinen Besitz mühselig statt selig, beladen mit seinem Besitz, denn jeder Besitz laste, ob er nun im Kapital oder in der Kultur bestehe. Darum sei denn auch der reiche Jüngling betrübt von Jesus gegangen, denn er habe viele Güter gehabt.
Betrübt! Wie gern wäre er arm geworden, wie gern hätte er alles verkauft und den Armen gegeben, wie es Jesus von ihm verlangt habe, aber was hätte er erreicht? Den Armen wäre der Reichtum sinnlos zerronnen, und sie wären wieder arm geworden. Wem das Himmelreich gehöre, den überlasse der Große Alte nicht der Hölle. Aber der reiche Jüngling? Gewiß, er wäre arm, bankrott, zahlungsunfähig, ruiniert, pleite, hopsgegangen. Aber nicht kopfüber ins Himmelreich: Sein Ruin wäre nicht im Geiste des Großen Alten im Himmel geschehen, sondern im Geiste des Jünglings, im Geiste des Menschen. Mit Absicht. Um zu überlisten, was ihm bestimmt gewesen sei: reich zu sein. Jesus habe ihn versucht, denn auch Jesus versuche, der in Lumpen hienieden wandelte, nicht nur der Teufel, und deshalb bete die Christenheit: Führet uns nicht in Versuchung! Der reiche Jüngling habe der Versuchung widerstanden, arm zu werden, auszusteigen, wie Jesus in Lumpen zu wandeln, Clochard zu werden, und so sei denn der Reichtum das Kreuz der Christen und Betrübnis ihr Teil, Fröhlichkeit sei nur den Armen und Habenichtsen beschieden, seufze, Christenheit, seufze. Moses Melker hielt inne. Fiel auf die Knie. Es war still auf dem Platz. Vom Dorfe bellte ein 36
Hund herüber. Dann wieder Stille. Moses Melker starrte auf die Menge, auf die Kaufhausbesitzer, auf die Medienbesitzer, auf die Fabrikbesitzer, auf die Bankenbesitzer, auf die Immobilienbesitzer, auf die Hotelkettenbesitzer, auf alle Besitzer, die vor ihm versammelt waren, die er anstarrte und die ihn anstarrten.
»Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken«, flüsterte er, und alle hörten sein Flüstern. Bei den Menschen sei’s unmöglich, aber beim Großen Alten seien alle Dinge möglich. Doch der Gott Mammon glotze ihm entgegen, nicht der Große Alte, schrie er auf, schnellte hoch, stand da, wurde mächtig. Woher auch ihr Reichtum stamme, der ihn umfange, umtürme und erdrücke, sprach er, redete er, predigte er, eisig und mit fürchterlichen Pausen, dieser Strom, der ihn überrolle und überflute, Gold, Währungen, Schwarzgelder, Aktienpakete, Obligationen, Anleihen, Nummernkonten, Schuldscheine, aus welchen reinen oder dunklen Quellen auch, aus welchen unblutigen oder blutigen Geschäften, aus welchen tugend- oder lasterhaften Schößen, aus welchen legitimen oder illegitimen Schweifen, woher auch immer er fließe, sprudle und schieße, er sei gewogen und zu leicht befunden, Abfall, Kehricht, Klärschlamm in den Augen des Großen Alten. Doch sie, hierher zu ihm gespült von dieser Brühe, seien nicht verloren.
Wenn auch schlechthin verworfen, seien sie schlechthin aufgenommen, durch die Gnade, denn sie sei das Unmögliche, das nur beim Großen Alten möglich sei, das ganz und gar Unverdiente, denn wäre die Gnade verdient, wäre sie nicht Gnade, sondern Lohn. Die Gnade sei das Nadelöhr, wohindurch nicht nur ein Kamel gehe, sondern alle gingen, die hier versammelt seien und unter dem Fluch des Reichtums stöhnten. Vor dem Großen Alten seien die Letzten die Ersten und die Armen reich, die Armen begnadet, die Reichen 37
verflucht. Wer aber begnadet sei, benötige keine Gnade, weil die Gnade schon an ihm hafte, und so sei denn die Gnade ihnen, den Reichen, den Verfluchten, Satten vorbehalten, die Gnade, womit sie gekrönt würden als der allein gnadenbedürftige Abschaum der Menschheit.
»Willkommen im Hause der Armut!« schloß Moses Melker seine Ansprache.
Langsam begriffen sie, daß kein Personal da war, daß sie sich allein helfen mußten, daß sie in die Armut gestürzt waren. Sie zogen ein, verlegen zuerst, begannen einander zu helfen, trugen Koffer, verteilten die Zimmer, hielten Rat, dankbar, daß Moses Melker ihnen beistand, der ebenso hilflos war wie sie, organisierten sich unter der Leitung eines stinkreich gewordenen, leicht vertrottelten englischen Feldmarschalls.
Der telefonierte mit dem Vorsteher des Eidgenössischen Militärdepartements, dieser mit einem Oberstdivisionär in der Kantonshauptstadt, und schon am ändern Tag kamen zwei Lieferwagen mit dem Nötigen, dann täglich einer. Der gesundheitliche Aspekt wich dem seelsorgerischen.
Weitere Kostenlose Bücher