Durst - Roman
bin? Ich war da noch nicht so weit, ich fürchtete mich vor den Konsequenzen. Sehen Sie, ich hatte den einen Wunsch: Ich wollte die Frau kennenlernen, die die Briefe geschrieben hat.»
Sie holte tief Luft: «Ich war mir des Risikos durchaus bewusst, das ich einging. Aber da ich überzeugt war, Sie würden mich nicht zum Kreis der Verdächtigen zählen, liess ich Sie weiterarbeiten. Ich redete mir ein, sie könnten die Verfasserin ausfindig machen, ohne gleich die ganze Wahrheit zu entdecken.» Sie strich sich die Haare aus der Stirn.
«Übrigens waren auch Sie nicht immer ehrlich zu mir!»
«Wie bitte?»
«Die Sache mit Dragan. Den Sie im Büro niedergeschlagen haben. Haben Sie wirklich gedacht, ich würde Ihnen glauben, Sie hätten nichts damit zu tun?»
Ich grinste.
«Was werden Sie nun mit mir anstellen?», fragte sie nach einer Weile.
Ich sah sie erstaunt an. «Nichts. Der Fall ist abgeschlossen. Wenn Sie damit leben können …»
Zum Abschied bat sie mich noch einmal, Frau Spahi ć zu fragen, ob sie bereit wäre, sich mit ihr zu treffen. «Ich möchte diese tapfere Frau unbedingt kennenlernen.»
Zu Hause schrieb ich Azra Spahi ć einen Brief. Ich schilderte in wenigen Sätzen das Erfahrene und schloss mit dem Hinweis, Frau Jovanovi ć – die Witwe liess sich wieder mit ihrem Mädchennamen ansprechen – würde sie gern kennenlernen. Ich legte die neue Adresse bei und die versprochene Anklageschrift.
Ein paar Tage später fand sich in meinem Briefkasten unter den Rechnungen, den Liquidationsangeboten irgendwelcher Teppich- und Möbelverkaufhäuser und der ebenso bunten Broschüre der nationalistischen Politsekte aus Zürich ein Brief von Frau Spahi ć . Darin bedankte sie sich für mein Schreiben, brachte ihre Verwunderung über das Erfahrene zum Ausdruck und schloss mit den Worten: «Sie haben sich in den letzten Monaten zwangsläufig mit meiner Heimat auseinandergesetzt. Ich kann natürlich nichts an Ihrem Eindruck ändern. Ich bitte Sie trotzdem, nicht zu hart zu urteilen. In dem Sinn möchte ich mit dem vollständigen Zitat aus Andri ć s ‹Brief aus dem Jahr 1920› schliessen:
‹Ja, Bosnien ist das Land des Hasses. Das ist Bosnien. Doch nach jenem seltsamen Widerspruch, der eigentlich gar keiner ist und sich bei aufmerksamer Betrachtung leicht erklären liesse, kann man ebenso gut sagen, dass es wenige Länder gibt, in denen man so viel festen Glauben, so viel erhabene Beständigkeit des Charakters, so viel Zärtlichkeit und leidenschaftliche Liebe, so viel Gefühlstiefe, Anhänglichkeit und unerschütterliche Ergebenheit und so viel Durst nach Gerechtigkeit finden kann.›»
Beat Portmann, geboren 1976 in Luzern. Vorkurs an der Jazzabteilung der Musikhochschule Luzern, lebt als freier Autor und Singer/Songwriter in Luzern. Er wurde mit einem Werkpreis des Kantons und der Stadt Luzern ausgezeichnet. Sein Kartenspiel «jarmony» wurde von der Musikhochschule Luzern herausgegeben. Im Limmat Verlag ist der Vorgängerroman mit «Herr Arnold» als Ermittler, «Durst», lieferbar (auch digital), der ins Albanische übersetzt wurde. Im Sommer 2013 wird sein Theaterstück «Wetterleuchten» von Volker Hesse im Luzern uraufgeführt.
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