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Durst - Roman

Durst - Roman

Titel: Durst - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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mit unverkennbar slawischem Akzent.
    «Jawohl, Arnold, Privatdetektiv.»
    «Sie missen kommen. Treffen mit mir. Noch heute!» Die Stimme klang nicht unfreundlich, trotz der imperativen Wortwahl.
    «Worum gehts denn?»
    «Nicht am Telefon. Ich will sprechen mit Sie an Tisch. Heut abend, sechs Uhr. Im Dancing Bahnhefli. Sie kennen?»
    «Ja, ich weiss wo. Und woran erkenn ich Sie?»
    «Sie fragen bei Frau von Bar – Zoran Slavkovi ć !»
    «Gut, dann werd ich um sechs dort sein.»
    Der Mann hatte bereits wieder aufgelegt.
    Es regnete, als ich kurz nach sechs die Wohnung verliess. Zum «Bahnhöfli» war es nicht weit. Ich ging zu Fuss, unter aufgespanntem Regenschirm, die Gerliswilstrasse hinunter. Durch die Strassenschlucht defilierte der Feierabendverkehr, Autoreifen zischten, Scheinwerfer blendeten.
    Ich kam an der neuen Tankstelle vorbei, die ihre Umgebung in ultraviolettes Licht tauchte – als ob man irgendwelche Fixer an der Ausübung ihrer Sucht hindern wollte –, und zweigte in die Bahnhofstrasse ab. Beim Kebabstand, wo es die beste Joghurtsauce im ganzen Kanton gab, waren einige Gestalten unter dem Vordach versammelt.
    Das Restaurant war leer bis auf die Bahnarbeiter, die Eistee tranken, und drei sich anschweigende Männer am Stammtisch. Die Kellnerin hatte sich hinter der Kaffeemaschine verschanzt. Ich grüsste mit einem knappen Nicken und ging weiter zur Treppe, die ins Untergeschoss führte. Hier waren die Toiletten, der Zigarettenautomat und am Ende des Korridors das Dancing.
    Der Raum war nur spärlich beleuchtet. Ich ging auf Teppich. Deutscher Schlagerpop troff aus den Lautsprechern. In einer Nische sassen eine junge Osteuropäerin und ein Mann mit Schnauz. Sie beachteten mich nicht. Soweit ich erkennen konnte, waren sie die einzigen Gäste. Auf der kleinen Bühne neben der Bar standen ein Keyboard, zwei Barhocker und ein Mikrofonständer. Die Frau hinter dem Ausschank sah mir müde entgegen. Sie war weit über dreissig und stark geschminkt. Ich ging auf sie zu und sagte, ich sei mit Herrn Slavkovi ć verabredet. Sie wies mit einer kurzen Kopfbewegung auf eine dunkle Ecke.
    Erst jetzt erkannte ich, dass dort noch jemand sass. Ich sah das Aufglimmen der Zigarettenglut und kurz darauf die filigrane Rauchsäule, die das verstreute Licht einer Spotlampe einfing.
    «Sie kommen zu spät, fünfzehn Minuten!», sagte er, wobei er fünfzehn wie finfzehn aussprach und dazu mit dem Zeigfinger auf seine Armbanduhr klopfte.
    Ich setzte mich und sagte: «Tut mir leid, ich wurde aufgehalten.»
    Ohne sich abzuwenden, griff er mit der linken Hand hinter sich und schaltete eine Lampe ein, die über seinem Kopf an der Wand hing. Dann musterte er mich, was ich umgekehrt ebenfalls zu tun versuchte. Aber er war eindeutig im Vorteil. Was ich im Gegenlicht erkennen konnte, war, dass Slavkovi ć einen aussergewöhnlich grossen Kopf hatte. Die Haare waren militärisch gestutzt, sein Kinn fliehend, seine ganze Gestalt wirkte massig. Er trug einen dunklen Anzug, dunkles Hemd und eine violette Krawatte. Es fiel mir schwer, die geckenhafte Bekleidung mit seinem vulgären Gesichtsausdruck zusammenzubringen.
    «Sie sind jung, sehr jung.»
    Ich erwiderte nichts.
    «Sind Sie so gut, wie Sie meinen?»
    «Ich bin der Beste!», versuchte ich schlagfertig zu sein.
    «Gut. Nur die Besten können zu spät kommen. Ich kann meine Zeit nicht mit jungen Schweizerburschen verschwenden. Verstanden!?»
    Die Kellnerin war an unseren Tisch herangetreten. Slavkovi ć bestellte dasselbe wie zuvor – irgendwas Hochprozentiges –, ich ein Bier.
    Er drückte die Zigarette, die er bis fast zum Filter heruntergeraucht hatte, im Aschenbecher aus. Dann leerte er den Inhalt des halbvollen Glases in einem Zug.
    «Ich werde bedroht, von anonyme Schweinehund!», begann er schliesslich. «Ich habe Briefe bekommen, worin steht, dass man mich töten will.» «Töten» sprach er wie «teten» aus, was ein wenig lächerlich klang. Er kniff die Augen zusammen und setzte hinzu: «Sie müssen herausfinden, wer diese Briefe geschrieben hat!»
    Er unterbrach sich, während die Kellnerin die Getränke hinstellte. Nachdem sie sich lautlos auf dem schweren Spannteppich entfernt hatte, fragte ich: «Haben Sie die Briefe bei sich?»
    Er griff mit der Rechten in die Innentasche seines Sakkos und nahm drei zusammengefaltete Couverts hervor. Einen Augenblick lang behielt er sie zwischen seinen dicken Fingern, als müsse ers sich noch einmal überlegen, ob er sie mir aushändigen

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