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Durst: Thriller (German Edition)

Durst: Thriller (German Edition)

Titel: Durst: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alberto Riva
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hatte immer schon den Verdacht gehegt, dass sich hinter Sandras demonstrativem Desinteresse für diese ferne Aussicht eigentlich die Sehnsucht verbarg, nach Hause zurückzukehren und das zu tun, was ihre Familie seit mindestens zweihundert Jahren tat. Allzu erstaunt war er also nicht, als Sandra ihm wenige Wochen nach dem Ableben des alten Bittencourt ihre Entscheidung mitteilte.
    » Das war mir längst klar. Nur nicht, wann du es mir sagen würdest. «
    Sie saßen vor ihrem Garnelenreis in einem Restaurant in Rio Vermelho, dem Viertel am Meer, in dem Nelson damals wohnte. Sandra musterte ihn neugierig mit ihren hellen Augen. Irgendwann strich sie sich die blonden Haare aus dem Gesicht. » Kommst du mit? «
    Nelson lächelte und fragte zurück: » Was denkst du? «
    » Ich denke, du kommst mit « , sagte Sandra und leerte ihren Weißwein in einem Zug.
    Sie stießen an und zogen wenige Wochen später in ein altes Bauernhaus unweit des Flusses, ein paar Kilometer von Juazeiro entfernt. Sandra übernahm die Fazenda und wählte unter den engsten Mitarbeitern ihres Vaters einen Berater und Vertrauensmann aus.
    Nelson arbeitete zunächst für das Kommunalkrankenhaus von Juazeiro, stellte aber schnell fest, dass es eher eine Schlangengrube als eine Heilanstalt war. Nach ein paar Wochen bekam er einen Anruf von einem gewissen Doktor Kosinski, der sich als Leiter einer öffentlichen Praxis an der Peripherie der Stadt vorstellte. Als sich Nelson am nächsten Tag dorthin begab, traf er auf einen hageren älteren Herrn in einem schmuddeligen weißen Kittel. Kosinski war gebürtiger Pole, hatte jedoch die brasilianische Staatsangehörigkeit. Sein Gesicht war eingefallen und unrasiert, aber seine Augen strahlten in einem intensiven Blau.
    Er kam sofort zur Sache. » Ich brauche einen Wanderarzt. «
    » Einen was? «
    » Einen Arzt, der zu den Patienten fährt. Haben Sie ein Auto? «
    Mit diesem Angebot hätte Nelson im Leben nicht gerechnet. Außerdem besaß er kein Auto. Allerdings hatten sie zusammen mit dem Bauernhaus einen alten auberginefarbenen VW Passat geerbt. » Einen Wagen hätte ich vielleicht… « , sagte er.
    » Gut « , erklärte Kosinski. » Wenn Sie mögen, können Sie sofort anfangen. «
    Nelson erwiderte, dass sie ja noch nicht einmal darüber geredet hätten, was genau seine Aufgaben wären.
    Kosinski wirkte leicht gereizt. » Es geht darum, Kranke zu heilen. Wenn ich recht informiert bin, haben Sie ungefähr zehn Jahre in der Notaufnahme des Krankenhauses von Salvador gearbeitet. Das dürfte kein leichter Job gewesen sein. «
    Nelson nickte wortlos.
    » Nun, das hier ist genau dasselbe. Nur dass Sie jetzt nicht darauf warten, dass die Patienten zur Tür hereinspaziert kommen, sondern gleich zu ihnen nach Hause fahren. Oder an ihren Arbeitsplatz. «
    » Verstehe. «
    » Dann sind wir uns also einig? «
    Während er sprach, schaute Kosinski aus dem Fenster in den blauen Himmel mit den flachen weißen Wolken.
    Nelson erklärte, er freue sich auf die Arbeit.
    » Warten Sie, bis Sie unsere Patienten sehen, und sagen Sie mir dann, ob Sie sich immer noch freuen. «
    Nelson beschloss, das Spielchen des Polen mitzuspielen. » Und wer sind unsere Patienten? «
    Kosinski zündete sich eine Zigarette an und hielt Nelson die Schachtel hin. Der lehnte ab.
    Qualm trat aus Kosinskis Mund, als er nach einem tiefen Zug antwortete: » In erster Linie Landarbeiter, Bauern oder Tagelöhner, die auf den großen Farmen angestellt sind. Und Heerscharen von schwangeren Frauen. «
    Bald verbrachte Nelson viele Stunden des Tages in seinem auberginefarbenen Passat. Und legte Dutzende von Kilometern zurück. In den Zweizimmerwohnungen der Peripherie von Juazeiro untersuchte er alte Asthmatiker, schwangere Frauen und fiebernde Kinder. Schnell war ihm allerdings klar, dass diese Kranken gegenüber den Patienten in den großen Agrarbetrieben nur einen Bruchteil ausmachten. Und dass er es mit den typischen Problemen von Landarbeitern zu tun bekam: mit Wunden, die sie sich an rostigen Arbeitsgeräten zugezogen hatten, rheumatischen Erkrankungen, Augenentzündungen und Atemwegsinfektionen, die sie dem Einsatz von Unkrautvernichtungsmitteln und anderen chemischen Substanzen verdankten. Dazu kamen Hauterkrankungen, üble Schwellungen, nie gesehene und oft unheilbare Tumore, die viel zu spät entfernt wurden. Natürlich betreute er auch die Arbeiter der Fazenda jener Frau, die inzwischen seine Gattin war: Nelson und Sandra hatten im Juni 1998

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