Echte Biester: Roman (German Edition)
den Käfig zurückzulocken. Trotzdem schaffte es Jocko noch, Wahoo in die Hand zu beißen.
»Ich hab dir doch gesagt, du sollst die Handschuhe anziehen«, schimpfte Mickey, als Wahoo sich die Wunde unter dem Wasserhahn auswusch.
» Du trägst ja auch nie Handschuhe«, entgegnete Wahoo.
»Tja, aber im Gegensatz zu dir werde ich nie gebissen.«
Das war Quatsch. Mickey wurde ständig gebissen; das war ein Berufsrisiko. Seine Hände waren so vernarbt, dass sie unecht aussahen, wie Halloween-Requisiten aus Gummi.
Das Telefon klingelte. Wahoo ging ran. Sein Vater wankte zur Couch und zappte sich mit der Fernbedienung durch die Kanäle, bis er den Rain Forest Channel fand.
»Wer war das denn?«, fragte er, als Wahoo aus der Küche kam.
»Wieder mal jemand mit einem Auftrag, Pop.«
»Hast du ihn zu Stiggy geschickt?«
Jimmy Stigmore war ein Tiertrainer, der oben in Davie eine Ranch hatte. Mickey Cray hielt nicht viel von ihm.
»Nein, hab ich nicht«, erwiderte Wahoo.
Sein Vater runzelte die Stirn. »Wohin dann? Doch nicht etwa zu Dander?«
Donny Dander hatte seine Lizenz für den Import exotischer Tiere verloren, nachdem man ihn bei dem Versuch erwischt hatte, achtunddreißig seltene Baumfrösche aus Südamerika ins Land zu schmuggeln. Er hatte die Frösche raffinierterweise in seiner Unterhose versteckt, doch die ganze Geschichte nahm ein peinliches Ende, als einer der Zollbeamten am Flughafen von Miami bemerkte, dass Donnys Unterhose quakte.
»Nein, zu dem auch nicht«, sagte Wahoo. »Ich hab ihn nirgendwo hingeschickt.«
»Okay, jetzt komm ich nicht mehr mit«, meinte Mickey.
»Ich habe gesagt, wir übernehmen den Auftrag. Und dass wir nächste Woche anfangen können.«
»Bist du verrückt geworden, mein Junge? Hast du vergessen, in welchem Zustand ich bin? Ich sehe alles doppelt, ich kann kaum gehen, und mein Schädel ist kurz davor, wie ein verfaulter Kürbis aufzuplatzen …«
»Pop!«
»Was ist?«
»Ich habe gesagt, wir. Wir zwei zusammen.«
»Aber was ist mit der Schule?«
»Freitag ist der letzte Schultag. Dann sind Sommerferien.«
»Jetzt schon?« Sein Dad verfolgte Wahoos Schulleben nicht so genau wie seine Mutter. »Von wem kommt der Auftrag eigentlich?«
Wahoo nannte ihm den Titel einer Fernsehsendung.
»Das ist doch die Sendung mit diesem Armleuchter!« Mickey Cray stieß ein Schnauben aus. »Über den hab ich schon die durchgeknalltesten Sachen gehört!«
»Tja, und wie hört sich tausend Dollar an?«, fragte Wahoo.
»Verdammt gut.«
»Tausend Dollar pro Tag .« Um des Effekts willen machte Wahoo eine Pause. »Aber wenn du willst, kann ich natürlich zurückrufen und ihm Stiggys Nummer geben.«
»Red keinen Stuss.« Mickey stand vom Sofa auf und umarmte Wahoo. »Das hast du gut gemacht, Junge. Das schaffen wir schon.«
»Na klar«, erwiderte Wahoo und gab sich alle Mühe, zuversichtlich zu klingen.
2
Während der großen Kältewelle in Südflorida waren Hunderte von Leguanen erfroren und von den Bäumen gefallen. Soweit Wahoo wusste, war sein Dad jedoch die einzige Person, die durch eines der herabstürzenden Reptilien ernsthaften Schaden davongetragen hatte.
Mickey Cray hatte mit einer Tasse heißem Kakao unter einer Kokospalme gestanden, als die tote Echse ihn ausgeknockt hatte. Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus hatte Mickey Wahoo damit beauftragt, das Grundstück nach überlebenden Leguanen abzusuchen, sie einzufangen und auf eine verlassene Orchideenfarm in der Nähe zu bringen.
Sehr intensiv hatte Wahoo nicht gesucht. Es war schließlich nicht die Schuld der Leguane, dass sie erfroren waren. Ihr eigentlicher Lebensbereich lag viel weiter südlich, doch die Tierhändler von Miami importierten schon seit Jahrzehnten kleine Leguane aus den Tropen. Die Kunden, die sie kauften, wussten nicht, dass die Tiere zwei Meter lang werden, alle Blumen im Garten fressen und in den Swimmingpool kacken würden. Sobald ihnen diese unangenehmen Tatsachen bewusst wurden, fuhren die unglücklichen Besitzer mit ihren Haustieren zum nächsten Park und setzten sie dort aus. Mittlerweile wimmelte es in Südflorida von großen, wild lebenden Leguanen, die unzählige kleine, wild lebende Leguane zur Welt brachten.
Dem hatte der jähe Temperatursturz ein Ende gemacht, zumindest vorübergehend.
Am ersten Tag der Sommerferien ertappte Wahoo seinen Vater morgens dabei, wie er die Bäume auf dem Grundstück inspizierte.
»Hast du welche entdeckt, Pop?«
»Nein. Die Luft ist rein«,
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