PR TB 222 Die Andere Welt
1.
Das Kreuzen in diesen Gewässern des südlichen Pazifiks
war gefährlich und mit ständigen Risiken verbunden, das
wußte jeder, der einmal hier gewesen war oder die vielen Inseln
und Riffe aus der Luft gesehen hatte. Der Mann am Ruder der Jacht
wußte es noch besser, und gerade deshalb war er hier.
Das Boot war nur sieben Meter lang, hatte zwei Kabinen und eine
kleine Kombüse. Der kräftige Mast hielt das Hauptsegel und
die Fock. Ein 50-PS-Motor versprach Sicherheit bei ungünstigem
Wind oder einer Flaute.
Die Sonne stand fast senkrecht, als der zweite Mann an Bord der
MAOLA aus der Kombüse an Deck kam und die Dose mit kaltem Corned
beef auf den Klapptisch stellte und dann in den Schatten des Segels
schob.
»Stell das Ruder fest und iß, Reg!«
Der mit Reg Angesprochene, offensichtlich der Eigner der Jacht,
wischte sich über die Stirn und nickte.
»Bin schon dabei, Ras. Hol mir inzwischen noch eine Dose
Bier, sonst verdurste ich glatt.«
Ras, ein kräftig gebauter Afrikaner, winkte dem Amerikaner
zu.
»Wird erledigt, Boß. Eine Hitze ist das.«
»Der Wind wird einschlafen, das tut er immer nachmittags.
Aber heute gefällt er mir nicht, der Wind.« Reg Bell
überzeugte sich davon, daß sein festgezurrtes Ruder
genügend Spielraum besaß, um Strömung und Wind
auszugleichen, stand dann auf und ging zum Tisch. Er setzte sich auf
eine Taurolle, nachdem er sie zurechtgerückt hatte. »Wir
nähern uns den Inseln, Ras, da springt der Wind leicht um. Wir
werden heute nacht den Treibanker auslegen.«
Der Afrikaner teilte das Corned beef auf.
»Mit dem Klotz unter dem Kiel machen wir kaum noch ein oder
zwei Knoten.«
»Das ist der Sinn der Sache, mein Freund. Außerdem
dürfte ein Riff meilenweit zu hören sein, wenn die Dünung
groß genug ist. So fest schläft
keiner von uns, um nicht sofort wach zu werden.«
»Um welche Inseln handelt es sich?« fragte Ras, als er
mit zwei Dosen Bier an Deck zurückkam. »Tonganische?«
»Die mittlere Gruppe, Ha'apai. Aber davor liegen Riffe,
sogar eine ganze Menge, und eine Insel soll es dort geben, die
niemand gehört. Weder den Amerikanern, Franzosen oder
Engländern. Nicht einmal Tupou, dem King von Tonga.«
»Soll...?« dehnte Ras. »Weiß man es denn
nicht genau?«
Reg Bell griff mit der linken Hand hinter sich und legte eine
zusammengefaltete Karte auf den Tisch.
»Ein Jammer, daß du nichts von der christlichen
Seefahrt verstehst. Sieh selbst nach, ob du da eine Insel findest.«
Sie hatten vor drei Tagen Niue passiert und die große Insel
nur am südlichen Horizont gesehen. Ras fuhr die Strecke mit dem
Zeigefinger nach und stieß auf die Ha'apai-Gruppe, etwa
sechshundert Kilometer westsüdwestlich von Niue. Er schüttelte
verwundert den Kopf.
»Nichts dazwischen, tatsächlich. Ein paar Riffe, das
ist alles. Wie kommst du auf die Idee, da könne eine Insel
sein?«
»Du findest sie nur auf manchen Karten, und dort auch nur
nachgezeichnet. Auf Satellitenfotos fehlt sie. Es gibt keine
Erklärung.«
»Vielleicht gibt es sie überhaupt nicht«, knurrte
Ras, faltete die Karte wieder zusammen und machte sich über
seine Ration Fleisch her.
Reg Bell aß ebenfalls schweigend und nachdenklich. Die MAOLA
machte gute Fahrt schräg gegen den Wind. Irgendwo im Westen lag
unter dem Horizont die Insel, die sich nicht auf Film bannen ließ.
Es könnte sich um eine unbekannte Art von Strahlung handeln,
dachte er, während er langsam und bedächtig kaute. So wie
eine Tarnkappe vielleicht. Aber woher soll die kommen?
Reg war Junggeselle und lebte in Los Angeles. Nicht weit vom
Simi-Valley entfernt besaß er eine große Orangenfarm, die
er von seinem Onkel geerbt hatte. Sie brachte genug ein, um ihm ein
angenehmes Leben zu ermöglichen. Unter einem angenehmen Leben
verstand er nicht das, was sich die meisten Menschen darunter
vorstellten: Luxus und Nichtstun. Im Gegenteil: er kaufte sich die
kleine Jacht und trieb sich, wann immer es ihm die Zeit erlaubte, im
Pazifik herum. Der schwere Bleikiel machte das Boot absolut
kentersicher, und die ausgeschäumten Kammern garantierten
Unsinkbarkeit.
Ras war vor etlichen Jahren aus dem dunklen Erdteil nach
Kalifornien gekommen und hatte gleich Arbeit auf Regs Farm erhalten.
Bereits zwölf Monate später übernahm er die Stelle des
Ersten Vorarbeiters, und schließlich ernannte ihn Reg zu seinem
Geschäftsführer. Seitdem waren sie Freunde.
Regs Schwester May führte Farm und Geschäfte, wenn ihr
Bruder mit Ras unterwegs war, und
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