Ed King
III . Dann kam Simon mit Ahornriegeln auf einem Pappteller und zwei kleinen Flaschen Cranberrysaft zurück. »Ich bin hundemüde«, sagte er. »Lass uns einen Moment hier sitzen und aus dem Fenster schauen. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich dir SlayerWolf geschickt habe. Ich wollte dir unserer Texturgraphik zeigen, weil wir damit die Ersten waren. Hast du die Bildschirmausleuchtung bemerkt? Spitzenmäßige Schwarzblenden. Obwohl wir mit VGA programmieren. Möchtest du noch Saft?«
»Jede Menge Trucks da draußen.«
»Im Augenblick entwickle ich TruckerArmageddon, da hat es sich bezahlt gemacht, den Verkehr gleich vor der Haustür zu haben. Komm schon, trink aus.«
Anschließend sahen sie sich die Räumlichkeiten an. Auf Ed wirkte GameKing mehr wie die Zusammenkunft einer Studentenverbindung als ein Unternehmen. Es war nicht eine einzige Frau zu sehen, nur lauter junge Burschen, die sich wie pubertierende Teenager aufführten.Wenn er hätte raten müssen, hätte Ed gesagt, die Angestellten bei GameKing hätten gerade Pause. Sie hörten Musik, aßen Pizza, tranken Cola und spielten Videospiele. Sie beschossen sich mit Gummibändern und stießen dabei ein fürchterliches Geheul aus. Sie duellierten sich mit Plastikschwertern, Pistolen und Raketenwerfen. Von den Spielen auf ihren Computern waren laute Schreie, Explosionen, Stöhnen und Schüsse zu hören. Ed hörte, wie jemand sagte: »Stirb, Dreckskerl«, und als Antwort: »Ich mach dich platt, du Schwanzlutscher.« GameKing hatte anfangs sechs Teilzeitkräfte eingestellt, die sich auf Aushänge an den Colleges beworben hatten. Sie wurden ins kalte Wasser geworfen, hatten aber wegen atmosphärischer Störungen aufgegeben, was Simon ganz okay fand, »weil man nur so kreative Höchstleistungen aus den Leuten herausholt«. Tatsächlich hatte GameKings heißester Designer, Rodney Ball, als absoluter Programmier-Neuling angefangen. Er erzählte Ed, dass er gerne snowboarde. Seine Fingernägel waren schwarz lackiert. Er aß gerade eine mittelgroße Peperoni-Pizza und hatte Kopfhörer auf. Ed fragte ihn, welche Musik er beim Arbeiten höre. »Philip Glass«, antwortete Rodney. »Kein Mensch hier hört Philip Glass, aber für meinen Kopf ist er im Moment genau das Richtige.«
Bevor Ed loslachen konnte, erklärte Simon: »Rodney entwickelt gerade ein Spiel, das DeathDreamer heißen soll und fast fertig ist.«
»Normalerweise höre ich nur härtesten Metal«, sagte Rodney.
Ed und Simon gingen zurück in Simons Büro. »Du verstehst jetzt, warum ich mein Büro schalldicht isoliert habe«, sagte er. »Das reinste Irrenhaus. Am liebsten bekomme ich gar nichts davon mit. Wenn ich mich konzentrieren will, arbeite ich nachts.«
»Dann brauchst du dir auch nicht anzuhören, dass Philip Glass im Augenblick gut für den Kopf von … wie hieß er noch? … ist.«
Simon lachte. »Rod Ball«, sagte er. »Ich mag Rodney. Rodney ist unglaublich.«
Ed senkte den Kopf und massierte seinen Nacken, um heimlich die Augen zu verdrehen. »Das ist einfach … wow«, sagte er.
Simon streckte den Arm aus und klopfte ihm auf die Schulter. »Ich weiß«, sagte er. »Ich kann es selbst kaum fassen. Das ist so … Ich lebe den amerikanischen Traum.«
Ed hielt sich die Hand vor den Mund. Er spürte, dass er etwas Falsches sagen wollte, und hielt sich gerade noch zurück. Er wollte aus dem Stegreif ein Spiel namens GeekKing erfinden. Aber wozu neuen Bruderzwist heraufbeschwören? Warum wieder damit anfangen? Nein, ein Streit im Dark Tower war die emotionale Anspannung nicht wert. »Ich freue mich für dich«, sagte Ed scheinheilig. »Die Dinge laufen wirklich gut für dich.«
Sie gingen zusammen essen, teure Bento-Boxen in einem Restaurant in Bellevue, in dem man seinen Bruder mit unterwürfiger Ergebenheit empfing. Die Bedienungen waren wie mittelalterliche Geishas aufgemacht, ohne das weiß gepuderte Gesicht, aber ansonsten authentisch. Si wusste geschickt mit Stäbchen umzugehen und war ein erfahrener Sake-Kenner. Er hielt etwas mit Aal in die Luft, lächelte und redete auf Japanisch mit dem sie umschwirrenden Restaurantleiter. Ed konnte nicht anders: Er hätte Si am liebsten umgebracht. Dieser kleine Bastard hatte ihn ausgestochen. Was konnte er tun? Wie sollte er reagieren?
Zwei Monate später machte Ed in Stanford seinen Abschluss in Mathematik (summa cum laude, mit Auszeichnung). Am nächsten Tag flog er nach Hause nach Seattle, wo er binnen einer Woche bei einem Anwalt war und
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