Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eden

Eden

Titel: Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
Arme freibehielt. Die Waffe baumelte ihm vor der Brust. Er leuchtete mit der Taschenlampe auf die Treppenstufen. Der Doktor stieg bereits hinunter. Plötzlich erstrahlte weißes Licht von oben, der Koordinator erhellte ihnen den Weg. Die Unebenheiten der steinernen Fläche erschienen ins Riesenhafte gesteigert und waren voller Schatten. Sie schritten in den langen Lichtschächten die Wand entlang, bis sich an der gegenüberliegenden Ecke ein geräumiger Flur auftat. Er war an beiden Seiten von Säulen eingefaßt, die auf halber Höhe aus der Mauer traten, als wüchsen sie aus ihr hervor. Oben bedeckte eine traubenartige Skulptur die Türfassung. Das schwache Scheinwerferlicht des fernen Geländewagens fiel als halbrunder Fächer auf die schwarze Glasur des Flurs, dessen Schwelle wie von tausendfachen Schritten ausgehöhlt war. Sie gingen langsam hinein. Der Eingang war sehr groß, wie für Riesen errichtet. Die Innenwände zeigten keinerlei Fugen, als sei das Gebäude als Ganzes gegossen worden. Der Flur endete mit einer leicht nach innen gewölbten Wand. Zu beiden Seiten waren ganze Reihen von Nischen zu erkennen. Jede hatte tiefe Einbuchtungen am Boden, die wie Gebetmulden aussahen. Darüber führte eine Art Rauchfang in die Mauer. Die Taschenlampen erhellten nur den untersten, dreieckigen Teil, der schwarze, von einer Glasur überzogene Wände hatte.
    Sie traten ins Freie. Ein halbes Hundert Schritte weiter riss das sie begleitende Licht ab, weil die Mauer eine Biegung machte. An dieser Stelle zweigte, von einem regelmäßigen Hexaeder eingerahmt, eine Gasse ab. Kaum hatten sie diese Gasse betreten, da änderte sich unversehens etwas. Das steinerne Grau der Umgebung erlosch wie weggeblasen. Der Chemiker schaute sich um. Finsternis umringte sie von allen Seiten. Der Koordinator hatte die Scheinwerfer gelöscht, deren letzter Schimmer noch bis an diesen Ort gedrungen war.
    Der Chemiker hob den Blick. Den Himmel konnte er nicht sehen, er ahnte ihn nur, spürte seine ferne, kühle Gegenwart mit dem Gesicht.
    Ihre Schritte hallten in der Stille laut wider. Der Stein antwortete gleichmäßig. Das Echo in dem Gäßchen klang kurz und dumpf. Wie auf Verabredung hoben beide die linke Hand und ließen sie im Gehen an der Mauer entlanggleiten. Der Stein war kalt und fast so glatt wie Glas. Nach einer Weile knipste der Doktor die Taschenlampe an, denn er glaubte eine Verdichtung von dunklen Flecken zu sehen. Sie befanden sich auf einem kleinen Platz, der wie der Boden eines Brunnens von Mauern eingefaßt war. In den konkaven Wänden, die nur von den einmündenden Gassen unterbrochen wurden, befanden sich in einer Doppelreihe nach hinten geneigte, zum Himmel gerichtete und deshalb von unten fast unsichtbare Fenster. Sie leuchteten überall mit den Taschenlampen hinein. In der schmälsten Gasse entdeckten sie Stufen, die steil nach unten führten, darüber war ein waagerechter steinerner Balken glatt in die Mauern eingepaßt. Darunter hing ein dunkles Faß, das wie eine Wasseruhr an beiden Enden erweitert war. Sie wählten die breiteste Gasse. Sehr bald spürten sie, dass sich die Luft veränderte. Der nach oben gerichtete Taschenlampenstrahl zeigte ein Gewölbe, das wie ein Sieb durchlöchert war, als habe jemand in die wie eine Haut gespannte glatte Steinschicht dreieckige Öffnungen geschlagen. Sie gingen lange, kamen durch Gassen, die mit Steinen gepflastert und geräumig waren wie Galerien, schritten unter Gewölben dahin, von denen unförmige Glocken oder Fässer herabhingen. Spinnwebenartige Fetzen klebten an den mit reichen Pflanzenornamenten verzierten Supraporten. Sie schauten in leere breite Flure, deren faßartige Gewölbe große runde Öffnungen hatten. Aus diesen Öffnungen ragten Felsstücke wie Zapfen. An den Mauern liefen hin und wieder schräge Rinnen mit Querverdickungen nach oben, sie sahen aus wie die Reste von Leitern und schienen mit einer erstarrten Masse übergössen zu sein. Ab und zu traf ein warmer Luftzug ihr Gesicht. Einige hundert Schritte, bis zur nächsten Gabel, gingen sie auf nahezu weißen Platten. Sie wählten die Gasse, die abwärts führte. Die Mauern ruhten auf schweren Fundamenten, in denen sich mit welkem Laub gefüllte Nischen befanden. Sie stiegen über eine Schrägfläche mit fein gezahnten Stufen immer tiefer hinab. Staub wirbelte im Schein der Taschenlampen unter ihren Füßen auf. Links und rechts klafften Eingänge von Krypten, aus denen ihnen abgestandene, stickige Luft

Weitere Kostenlose Bücher