Edgar Allan Poe - Das gesamte Werk
schrecklichen Saturn vereint. Das seltsame Wesen, das Luft und Himmelskörper durchdrang, offenbarte sich nicht nur im Äußeren des Erdballs, sondern – ich müßte mich denn sehr irren – auch in den Seelen, Phantasien und Grübeleien der Menschen.
Bei einigen Flaschen roten Chiosweines saßen wir des Nachts in einem hohen Saal in einer trüben Stadt, die Ptolemais heißt, zu sieben beisammen. Und zu unserem Zimmer gab es keinen anderen Eingang als eine hohe kupferne Tür, und die Tür war von dem Künstler Corinnos gefertigt, von seltener Arbeit und von innen verschlossen. Schwarze Draperien umhingen den düsteren Raum und verbargen unsern Augen den Mond, die gelben Sterne und die menschenleeren Straßen – doch die Ahnung und die Erinnerung an das Unglück ließen sich nicht ausschließen. Es waren Dinge um uns – körperliche und geistige Dinge – von denen ich keine deutliche Schilderung geben kann, als drücke eine Schwere in der Luft, als drohe uns Erstickung. Beängstigung sank dumpf herab – und vor allem quälte uns jener schreckliche Daseinszustand, in dem die Sinne übermäßig lebendig und wach sind, während die Kräfte des Gedankens schlummern. Eine tote Schwere hing über uns. Sie lag auf unseren Gliedern, auf den Gegenständen in dem Zimmer, auf den Bechern, aus denen wir tranken. Es schien, als drücke sie alle Dinge nach unten, alles, nur nicht die Flammen der sieben eisernen Lampen, die unser Trinkgelage beleuchteten. Sie stiegen in langen, dünnen Lichtstreifen auf und brannten alle bleich und unbeweglich; und in dem Spiegel, den ihr Licht auf dem runden Ebenholztisch bildete, um den wir saßen, erblickte jeder von uns, die wir da versammelt waren, seines eigenen Antlitzes Blässe und das unruhige Flackern in den niedergeschlagenen Augen der Freunde. Doch lachten wir und waren lustig auf unsere Art – hysterisch lustig – und sangen die Lieder Anakreons – wahnsinnige Lieder; und tranken unaufhörlich, obgleich uns der purpurne Wein an Blut gemahnte.
Denn es war noch ein Gast in unserem Gemache, der junge Zoilus. Tot und ausgestreckt lag er da, leichentuchumhüllt – der Dämon des Ortes. Ach, er hatte keinen Anteil an unserer Heiterkeit oder nur soviel, als sein von Qual entstelltes Antlitz und seine Augen, deren Feuer der Tod nur halb verlöschen konnte, anzeigten – nur soviel Anteil, als Tote an der lauten Munterkeit derer nehmen, die bald sterben sollen. Aber obgleich ich, Oinos, fühlte, daß die Augen des Abgeschiedenen auf mir ruhten, zwang ich mich, ihren bitteren Ausdruck nicht zu bemerken und starrte beharrlich in die Tiefen des Ebenholzspiegels und sang mit lauter, voller Stimme die Lieder des Sohnes von Teios. Aber nach und nach hörten meine Lieder auf, und ihr Echo verrollte in den düsteren Draperien des Zimmers, wurde schwach und undeutlich und schwand ganz hin. Und seht! Aus jenen düsteren Draperien, in denen die Töne des Liedes verschwunden waren, kam ein dunkler, undeutlicher Schatten hervor – ein Schatten, wie ihn der Mond, wenn er niedrig am Himmel steht, aus der Gestalt des Menschen bildet, doch war es nicht der Schatten eines Menschen und nicht der eines Gottes, noch eines bekannten Dinges. Und er schwankte eine Weile zwischen den Draperien des Zimmers und blieb endlich vor unseren Augen auf der Tür von Kupfer stehen Aber der Schatten war undeutlich und formlos und unbestimmt und war nicht der Schatten eines Mannes noch eines Gottes – weder eines Gottes von Griechenland, noch von Chaldäa, noch eines ägyptischen Gottes. Und der Schatten blieb auf der Kupfertür unter dem Bogen ihres Frieses stehen und rührte sich nicht und sprach kein Wort, sondern stand da und blieb stehen. Und die Tür, auf der der Schatten ruhte, befand sich, wenn ich mich nicht täusche, zu Füßen des jungen, leichentuchumhüllten Zoilus. Aber wir, die sieben Versammelten, die den Schatten aus den Draperien kommen gesehen hatten, wagten lange nicht, ihn anzublicken, sondern schlugen unsere Augen nieder und starrten beharrlich in die Tiefen des Ebenholzspiegels. Und endlich sprach ich, Oinos, einige leise Worte und fragte den Schatten nach seiner Heimat und nach seinem Namen. Und der Schatten antwortete:
»Ich bin der Schatten und meine Heimat ist nahe bei den Katakomben von Ptolemais und dicht an den nebligen Ebenen Elysions, die an den trüben Strom Charons grenzen.«
Und da fuhren wir, die Sieben, voll Schreck von unseren Sitzen auf und standen schaudernd. Denn die Stimme
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