Edvard - Mein Leben, meine Geheimnisse
Was ich heute noch höre, sind die eher gemäßigten Sachen.«
Wenn das gemäßigt ist, was Mama sich da teilweise reinzieht, dann will ich gar nichts über ihre Punkzeiten wissen. Einmal habe ich auf einem Foto gesehen, wie sie in meinem Alter aussah – dagegen ist Piesel ein echt anständiger, gut gekleideter junger Mann.
»Und wieso morgens um sechs?«
»Ich kann nicht schlafen.«
Das ist komisch. Mama kann immer und überall schlafen. »Ist was passiert?«, frage ich.
»Nein. Nur in meinem Kopf. Ich musste daran denken, wie es damals war. Als wir noch gekämpft haben für einebessere Welt. Gerechter, sozialer, schöner. Wir wollten helfen und etwas verändern. Und was mache ich heute?«
Sie redet nicht weiter. Ich soll wohl antworten. Ich sage: »Na ja, du verdienst Geld wie alle Eltern, und du kümmerst dich um mich. Und um Papa. Und er kümmert sich genauso um uns. Oder so.«
»Ich gehe jeden Tag in diese verdammte Galerie und berate stinkreiche Idioten, wo sie sich welches Bild in die Wohnung hängen können und ob es farblich zum Sofa passt. So viel zu Kunst. So viel zu Rebellion.«
Ich überlege einen Moment und reibe mir dabei die Augen, damit ich sie endlich richtig aufkriege. »Wärst du lieber arbeitslos?«, flüstere ich.
Sie seufzt. »Unsinn. Ich weiß nur nicht mehr, ob ich mir gegenüber ehrlich bin mit dem, was ich den ganzen Tag mache. Dein Vater und ich, wir sind genau da angekommen, wogegen wir früher gekämpft haben, und bei deinem Vater scheint es sogar das Richtige zu sein. Er liebt seinen Job, er ist sein Job, er könnte gar nichts anderes im Leben machen. Aber ich …« Sie schüttelt den Kopf, und als ihr die Haare ins Gesicht hängen, schiebt sie sie nicht zur Seite. Aus der Stereoanlage plärrt immer noch irgendein Punk, aber er plärrt ganz leise. »Weißt du, ich habe irgendwann wohl die falsche Abzweigung genommen. Edvard, tu mir einen Gefallen, mach immer nur das, was du wirklich von Herzen willst. Und jetzt ab ins Bett, du siehst schrecklich müde aus!« Sie lächelt mich an. »Na los, zwei Wochen am Stück mehr oder weniger blaumachen, das würde anderen Jungs in deinem Alter gut gefallen.«
Ich nicke und gehe wieder in mein Zimmer.
Manchmal wünsche ich mir echt normale Eltern.
Dienstag, 27.9., 16:41 Uhr
Bis zwölf gepennt! Aufgestanden und zu Tannenbaum gerannt.
Er will wissen, wie es mir geht, ich kann immer noch nicht wirklich viel sprechen. Er erzählt mir in allen Einzelheiten von der Party. Ich würde natürlich viel lieber etwas über die andere Party erfahren, bei der Constanze war.
Tannenbaum erzählt auch von dem Fernsehbeitrag. »Der Anwalt hat recht, ich muss das Haus räumen«, sagt er.
Und ich denke mir: Dann sollten wir jetzt endlich mit dem Unterricht weitermachen, damit ich noch so viel wie möglich von ihm lerne, bevor er wegzieht.
Er hat schon richtig viele Kisten gepackt. Die Bücherregale sind so gut wie leer. Es sieht traurig aus.
Später kommen Arthur, Anselm und Piesel, was mich nervt, weil dadurch mein Unterricht vorbei ist. Kurz darauf stehen Ratte und seine bekloppten Freunde völlig panisch vor der Tür. Sie haben vergessen, dass sie übermorgen eine Mathearbeit schreiben, und jetzt kümmert sich Tannenbaum nur noch um die drei Chaoten.
Fühle mich irgendwie außen vor.
Dienstag, 27.9., 19:42 Uhr
Constanze hat James geschrieben, wie glücklich sie jetzt mit Henk ist. Sie fragt ihn, ob er auch eine Freundin hat.
Dienstag, 27.9., 22:00 Uhr
Fünfhunderttausend Jason-Fans, und die Online-Berichte stapeln sich. Irgendwo ist jetzt auch noch ein Interview mit dem Sanitäter aufgetaucht, der Jason angeblich ins Krankenhaus gebracht hat. Natürlich bleibt der Sanitäter anonym. (Ist ja klar, den KANN ES DOCH NICHT GEBEN !) Die spinnen alle. ALLE .
Und Constanze plakatiert ihre Pinnwand damit voll, dass sie sooooo glücklich ist mit diesem schwachsinnigen Henk.
Karli ist auch auf Facebook. Habe ich gerade erst entdeckt, als ich zum Spaß ihren Namen eingegeben habe. Kann mich als James aber schlecht mit ihr anfreunden, das wäre komisch.
Vielleicht schalte ich mein eigenes Profil wieder frei, dann kann ich ihr eine Freundschaftsanfrage schicken. Obwohl, wenn man nur insgesamt drei Facebook-Freunde hat, sieht das echt scheiße aus, oder?
Ich muss zu Hause schlafen, Papa sagt, ich bin noch nicht ganz gesund und außerdem vom Arzt so richtig in echt krankgeschrieben, da soll ich doch bitte in meinem eigenen Bett übernachten und nicht
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