Effington 06 - Verborgene Verheissung
nein, die unerwartete Freude darüber verständlich machen. Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf, und ihr Vergnügen verebbte. »Warum hat man mich nicht vorher darüber informiert?«
»Miss Townsend, wie bereits erwähnt, Albert ...«
»Zum Teufel mit Albert.« Grenzenlose Wut ließ sie aufspringen. »Sie sind der Mann, dem sich mein Vater anvertraute, nicht Ihrem Neffen. Den Fehler, Mr. Whiting, haben Sie gemacht, und nur Sie!«
»Sie haben Recht. Und ich nehme ihn auf mich. Das ist genau der Grund, warum ich Ihre Überfahrt bezahlt habe.« Er hatte sich ebenfalls erhoben. »Meine Fehlentscheidung lag dann, einen unerfahrenen Jungen zu schicken, um die Details Ihres väterlichen Besitzes zu klären. Seine Aufgabe bestand nicht darin, Sie von irgendetwas in Kenntnis zu setzen. Ich hatte ihn lediglich nach Townsend Park vorausgesandt, um schon einmal mit der Sichtung der Papiere Ihres Vaters zu beginnen. Ich stieß am nächsten Tag dazu, doch Sie, mein liebes Fräulein, waren da schon weg.«
»Was hatten Sie erwartet? All meine Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Mein Vater war tot.« Sie lief vor dem Schreibtisch auf und ab, die Worte in gleichem .
Maß an sich selbst gerichtet wie an den Anwalt. »Gut, ich hatte Jahre meines Lebens fern von ihm im Internat verbracht und kannte ihn kaum. Aber dennoch hatte es ihn immer gegeben. Ich wusste stets, dass es ihn gab. Er behandelte mich freundlich, wenn auch ohne besondere Zärtlichkeit. Es gab keinen Anlass, an einer gewissen Zuneigung mir gegenüber zu zweifeln, und er bedeutete mir ebenfalls etwas. Mir wurde erst bewusst, wie viel, als er nicht mehr da war.
Außerdem wäre ich bald aus meinem Zuhause vertrieben worden. Ich war, mit den Worten Ihres Neffen, eine mittellose Waise ohne Zukunftsaussichten, die der Gnade und dem Großmut eines mir völlig unbekannten Cousins ausgeliefert war.«
Sie hielt inne und sah ihn an. »Mir war schon lange klar, dass man sich in dieser Welt nur auf sich selbst verlassen kann. Meine Eltern waren beide tot und meine Schwester verschwunden; nichts hielt mich mehr in Townsend Park. Sie können mir kaum verübeln, dass ich wegging.« Sie trat näher. »Jeden Tag meines Lebens sagte ich mir, mein eigenes Leben zu führen, sollte mein Vater sterben und ich noch nicht verheiratet sein. Und genau das tat ich, Mr. Whiting.«
»Sie waren schwer zu finden«, brummte Mr. Whiting. »Ich habe es wirklich versucht. Es dauerte Monate, Ihre Spur von Townsend Park zum Haus dieser vermaledeiten Französin in London zu verfolgen ...« Seine Augen verengten sich. »Wie haben Sie das nur geschafft, als mittellose Waise, die Sie waren?«
»Ich hatte meine Quellen«, gab sie hochmütig zurück. Sie hatte jahrelang alles Geld gespart, was ihr in die Finger geraten war.
Er schnaubte. »Zweifeilos. Schließlich hatte ich die beiden Damen, Madame Freneau und Madame de Chabot, aufgespürt. Und eines Tages würde ich gerne wissen, woher Sie eine Dame von solch zweifelhaftem Ruf kennen ...«
»Air. Whiting, Madame de Chabot ist Madame Freneaus Schwägerin. Madame Freneau war meine Lehrerin und ist bis heute meine liebste Freundin. Und beide Damen waren überaus freundlich zu mir.« Da Mr. Whiting Madame de Chabot offensichtlich missbilligte, sollte Gwen wohl besser nicht erwähnen, dass sie seit ihrer Ankunft in London vor zwei Tagen bei den beiden wohnte. Der Mann hatte trotz allem die Verfügungsgewalt über ihre Finanzen. Dennoch ... »Außerdem schulde ich niemandem eine Erklärung, Ihnen am allerwenigsten. Ich bin kein Schulmädchen mehr ...«
»Aha!« Er funkelte sie an. »Aber genau das waren Sie, als Ihr Vater starb. Sie waren gerade einmal sechzehn Jahre alt, und ich wurde als Ihr Vormund und als sein Testamentsvollstrecker bestimmt. Und, das sollte ich noch erwähnen, als Ihr Vermögensverwalter bis zu einer etwaigen Vermählung.«
»Ich benötige jetzt keinen Vormund mehr. Ich bin mündig.«
»Ungeachtet dessen habe ich immer noch die Verfügungsgewalt über Ihr Einkommen und werde sie bis zu dem Tag behalten, an dem Sie heiraten oder ich sterbe.« Er beugte sich drohend vor. »Setzen Sie sich, Miss Townsend.«
Sie wollte protestieren, überlegte es sich aber anders und setzte sich.
»Als ich endlich Ihren Wohnsitz in London ausfindig gemacht hatte, waren Sie nach Amerika geflohen. Stellen Sie sich meine Überraschung vor, als ich erfuhr, dass ich nicht länger nach der sechzehnjährigen Tochter eines englischen Lords fahndete,
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