Effington 06 - Verborgene Verheissung
vorsichtig. »Ihr Erscheinen überrascht mich ein wenig. Ich hatte Sie erst in einigen Tagen erwartet.«
»Ich dachte, es sei das Beste, umgehend nach England zurückzukehren.«
»Selbstverständlich.« Er entzog ihr seine Hand und blickte zur Tür. »Sie erinnern sich an meinen Neffen Albert?«
Jetzt erst bemerkte sie den jüngeren Mann, der mit erkennbar entschuldigender Miene im Türrahmen stand. Heute lag kein Mitgefühl in seinen Augen, aber sein Gesichtsausdruck war dennoch seltsam.
»Natürlich.« Sie lächelte höflich und wartete. Wenn es etwas gab, das sie in sieben aufeinander folgenden Anstellungen gelernt hatte, war es, sich den Anschein von Geduld zu geben.
Mr. Whiting nahm hinter seinem Schreibtisch Platz und nickte seinem Neffen herablassend zu. Albert ging zur Tür, blieb aber plötzlich stehen und wandte sich um.
»Miss Townsend, ich bitte Sie, meine aufrichtige Entschuldigung anzunehmen.«
Plötzlich erkannte sie, dass in seinem Blick Schuldgefühl lag.
Er trat näher heran. »Das alles ist ausschließlich meine Schuld, und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ehrlich betrübt ich bin, seit der Fehler entdeckt wurde. Ich habe mir größte Sorgen um Ihr ...«
»Das reicht jetzt, Albert«, sagte Whiting bestimmt.
Fehler? Gwen blickte erstaunt von Albert zu seinem Onkel.
»Welcher Fehler?«, fragte sie langsam.
»Es war ein Irrtum.« Albert schüttelte den Kopf. »Unentschuldbar, und ich werde mir selbst nie verz...«
Irrtum?
»Albert.« Whitings Stimme klang schneidend.
Albert beachtete ihn nicht. »Miss Townsend, bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich mich ab sofort als Ihr Diener betrachte. Sollten Sie irgendetwas benötigen, einschließlich der Vorteile, die nur eine Ehe bieten kann, würde ich mich geehrt fühlen, meine Dienste ...«
»Albert«, bellte Whiting. »Ich kümmere mich darum. Du hast sicher andere Aufgaben zu erledigen.«
Albert zögerte, dann nickte er. »Natürlich, Onkel.« Er straffte die Schultern und sah ihr in die Augen. »Noch einmal, Miss Townsend, ich bitte um Verzeihung.«
Er ging ohne ein weiteres Wort. Gwen sah ihm nach. Myriaden von Gedanken wirbelten ihr durch den Kopf, aber keiner davon ergab einen Sinn.
Whiting räusperte sich. »Miss Townsend, ich ...«
»Was für ein Irrtum?« Sie sah ihm direkt in die Augen.
Whiting zögerte, als suchte er nach Worten. Er fühlte sich sichtlich unbehaglich, und zum ersten Mal seit dem Tode ihres Vaters schimmerte in ihr wieder Hoffnung auf.
Als sie Whitings Brief erhalten hatte, war sie selbstverständlich neugierig gewesen: Eine bezahlte Rückreise nach England lag bei. Ansonsten beinhaltete er nur die Nachricht, dass sie wegen einer dringenden Familienangelegenheit umgehend zurückkehren müsse. Sie hatte nur zu bereitwillig ihren Arbeitgebern und deren unerfreulichen Sprösslingen den Rücken gekehrt und das erste Schiff nach Hause genommen.
»Mr. Whiting?«
Sie hatte vermutet, dass Mr. Whitings Appell das Unterzeichnen von Papieren betraf, die das Anwesen ihres Vaters oder die Überschreibung seines Eigentums anbelangten. Angelegenheiten, die sie lang erledigt geglaubt hatte. Doch was immer der Anlass war, immerhin war er in Whitings Augen bedeutsam genug, um ihr die Rückkehr nach England zu ermöglichen. Und nur das zählte.
Das Unbehagen des Anwalts und die demütige Entschuldigung sowie der merkwürdige Heiratsantrag seines Neffen zeigten Gwen, dass die »dringende Angelegenheit« augenscheinlich viel bedeutsamer war.
»Miss Townsend.« Whiting faltete die Hände auf dem Schreibtisch vor sich. »Mein Neffe hätte Sie niemals auf die Art und Weise von ihrer finanziellen Situation informieren dürfen, wie er es tat. Ebenso wenig hätte er Ihnen so bald nach dem Ableben Ihres Vaters überhaupt etwas sagen sollen.«
Gwens Mut sank.
»Das war sehr gedankenlos von ihm und ...«
»Mr. Whiting, so sehr ich Ihre aufrichtige, wenngleich längst überfällige Entschuldigung im Namen Ihres Neffen zu schätzen weiß, war es doch wohl kaum nötig, mich dafür quer über den Ozean fahren zu lassen. Ich bin Ihnen jedoch äußerst dankbar für die Heimreise. Ich gehe davon aus, dass Sie damit Ihr Gewissen erleichtern wollten, um die Bekanntgabe meiner finanziellen Situation am Tag nach meines Vaters Tod nicht so schroff erscheinen zu lassen. Sie können Albert ausrichten, dass ich seinen Heiratsantrag zu schätzen weiß. Gut.« Sie stand auf. »Wenn das dann alles wäre ...«
Whiting erhob sich. »Verzeihung,
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