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Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)

Titel: Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schirrmacher
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innersten Kern rationalen Verhaltens erlebt.
    Aber der Preis für diese Selbstverteidigung ist hoch: In vielen der lebenslustigen Ratschläge steckt, wie in einer eminenten Studie zur Verhaltensökonomie Gerd Gigerenzer und Nathan Berg gezeigt haben, eine getarnte neoklassische – oder wenn man so will: neoliberale – Ideologie. 7 Das gilt nicht nur für die Verhaltensökonomie., sondern für alle automatisierten Märkte, von den Finanzmärkten bis zu den neuen Märkten sozialer Kommunikation.
    Der ökonomische Imperialismus erzwingt aber auch – und mehr denn je nach der Finanzkrise –, das Feld nicht einer vorherrschenden Schule vor allem angelsächsischer Ökonomen zu überlassen. Eine ganze Welt konnte sich von den Schwächen einiger der noch unlängst als Wahrheiten postulierten Modelle in den letzten Jahren überzeugen. Wenn hier zwei der in der Informationsökonomie wirkungsvollsten Denkgebäude, »rational choice«-Theorie und Spieltheorie, inspiziert werden, dann naheliegenderweise nicht, um zu behaupten, dass es nur sie gab und nichts anderes. 8 Sie aber sind von überragender Bedeutung für die Geschichte, die dieses Buch erzählen will: Wie der Einzelne das Gefühl haben konnte, dass sich das ganze Universum gegen ihn verschworen hat, und wie nach dem Ende des Kalten Kriegs ein neuer Kalter Krieg im Herzen unserer Gesellschaft eröffnet wird.

TEIL EINS
    DIE OPTIMIERUNG
    DES SPIELS

1 Trance
    Das Militär sucht eine Antwort auf die Frage,
wie man sich egoistisch verhält
    E s beginnt, wie es sich gehört für Geschichten aus der »Twilight Zone«, mit der Trance. Wir befinden uns in den ersten Jahren des Kalten Kriegs. Irgendwo in Amerika, geschützt von meterdickem bombensicherem Beton und Stahl, sitzen hochtrainierte Menschen. Es sind Soldaten der Luftraumüberwachung der Vereinigten Staaten. Sie fixieren Radarbildschirme.
    Die Soldaten halten Ausschau nach kleinen blinkenden Punk ten, die hin und wieder auf den Bildschirmen auftauchen. Sie registrieren selbst die kleinste Bewegung; jedes Signal könnte ein mit Atombomben bestücktes russisches Flugzeug sein. Kein Job in den gesamten amerikanischen Streitkräften, so wurde diesen Männern eingetrichtert, ist lebenswichtiger.
    Dann geschehen unerklärliche Dinge. Ein Luftwaffenoffizier, der den Zweiten Weltkrieg ohne einen Kratzer überstanden hat, bringt es irgendwie fertig, sich auf dem kurzen Weg von seinem Bildschirm bis zur Kaffeemaschine das Bein zu brechen. Andere Militärs fallen in Sekundenschlaf. Manche sind zu absent, um Fragen zu beantworten. Dazu das künstliche Licht, die unterirdischen Türen und Gänge, die wachsende Bun kermentalität, und immer wieder die grünen Kreise des Radarschirms: all das verstärkt das Gefühl, im Inneren eines ›hypnotischen Organismus‹ zu sitzen.
    »Es ist schwer, wach zu bleiben«, gesteht ein Mitglied der Crew, »wenn man stundenlang in einem dunklen Raum auf einen Radarschirm starrt, Tag für Tag, Woche für Woche, immer nur auf der Suche nach dem einen Signal, das eine Entscheidung verlangt …« Und das ist fatal, denn »eine Minute geschlafen kann bedeuten, dass eine Stadt vernichtet wurde«, schreibt ein besorgter Besucher des Bunkers im Jahre 1955. 9
    Ein daraufhin vom Militär alarmiertes Team von Wissen schaftlern – Ökonomen, Psychologen und Soziologen – versucht, die Absencen in den grün illuminierten Gesichtern nachzuvollziehen. Und dann endlich begreift man, dass es die Rechner sind, diese wachsamen Maschinen, die die Männer, die sie bedienen, in Hypnose versetzen.
    Das stellt die Forscher vor eine fast unlösbare Aufgabe: Wie soll man Soldaten gegen die hypnotische Kraft ihrer eigenen Werkzeuge trainieren?
    Alle dreißig Sekunden lassen nun die Menschen in den wei ßen Kitteln die Physiognomien der Soldaten mit lochkartengesteuerten Kameras abtasten. Alle zwanzig Minuten fotografieren sie deren Bildschirme, zeichnen Diagramme auf ihre Schreibblocks, in denen sie stündlich die Bewegungen und räumlichen Entfernungen der Crew verzeichnen. Hollywood dreht zum gleichen Zeitpunkt viele Science-Fiction- und Horror-Filme, in denen es genauso zugeht.
    »Psychodrama-Sitzungen« nannten das die Wissenschaftler. Das Ziel jedoch war: die Seele der Soldaten mathematisch zu berechnen. Nicht nur Menschen sollten Maschinen bedienen, sondern die Maschinen sollten lernen, Menschen zu bedienen. 10 Deshalb mussten Menschen lernen, sich maschinenlesbar zu verhalten. Und damit war aus Science-Fiction

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