Ego: Das Spiel des Lebens (German Edition)
weiß. Die neue Ökonomie bedient sich der Maschinen und sie erfasst menschliche Beziehungen mithilfe der Mathematik. Sie liebt das »Gefangenendilemma«, eine spieltheoretische Urszene von zwei Menschen, die ein gleiches Schicksal teilen, aber nicht miteinander reden können, und die das Angebot bekommen, auf Kosten des anderen einen Vorteil zu erhalten. Verrat des anderen ist in diesem Spiel nicht nur vorgesehen, »er ist die als vernünftige Verhaltensweise akzeptierte Norm«. 1
Es hat sich herausgestellt, dass Menschen, die mit diesem Denken in Berührung kommen, ihr Verhalten verändern. Ein Weltbild, das hinter allem menschlichen Tun die unausweichliche Logik des Eigennutzes am Werk sieht, produziert Egoismus wie am Fließband. 2 Neuerdings kommt aber jeder ständig damit in Berührung. Umgeben von einer Welt, in der Informationen nicht nur an Börsen, sondern am Arbeitsplatz, in der Kommunikation und sogar bei Freundschaften von logisch arbeitenden Rechenmaschinen organisiert werden, die nach den Gesetzen der persönlichen Profitmaximierung den menschlichen Charakter kalkulieren, verändern sich gesellschaftliche Wertvorstellungen in staunenswerter Geschwindigkeit.
Der Informationskapitalismus stellt zusammenhängende Lebensläufe und Identitäten von einzelnen Menschen infrage, er hat die Realwirtschaft für seine Zwecke eingespannt und ist nun im Begriff, konstitutionelle und völkerrechtliche Ordnungen umzuschreiben.
Denn nicht nur der Einzelne verliert seine Souveränität. Die in der gegenwärtigen Eurokrise amputierten Souveränitätsrechte europäischer Staaten und Parlamente sind kein Kunstfehler, sondern Teil seiner operativen Logik.
Er hat das menschliche Denken mit einem Labyrinth von Stollen und Schächten untergraben und verarbeitet das ausgebeutete Rohmaterial auf Maschinen, die – je nachdem, auf welchem Schreibtisch sie stehen – Kriege führen, Revolutionen anzetteln, Geld erschaffen, Menschen kontrollieren oder die Fotos der letzten Urlaubsreise versenden können. Er scheint mittlerweile in der Lage zu sein, über Nacht ganze Nationen abzuschalten oder den Einzelnen, der sich ihm zuschaltet, unter Umständen mit der Macht eines Staates zu versehen. Deshalb sind die Menschen im Begriff, mit ihm unter Tage zu wandern, in geschlossene Räume mit künstlichem Licht, und die Tunnel, die er grub, für ihr Denken selbst zu halten.
Die Tarnung einer Falle muss alle Sinne täuschen. In seiner Enzyklopädie empfiehlt Diderot, den Geruch des Eisens zu verschleiern, weil erfahrene Tiere mit ihm ihre Vernichtung asso ziieren. Ein modernes Standardwerk über das Fangen von Tieren beschreibt in aller Unschuld, was zu tun ist: »Das Tier in die Maschine zu locken, sei es durch einen Köder oder aufgrund seiner natürlichen Neugierde.« Kein Zufall, dass nach Otto Mayr die englischen Worte engine und machine lange Zeit die negativen Nebenbedeutungen von List, Trick und Komplott und sogar von Intrige hatten. 3 Die Maschine des Informationskapitalismus ist der Computer, aber das Gerät selbst ist unschuldig. Es kommt einzig darauf an, wer es in Händen hat und zu welchen Zwecken einsetzt. Hat man, wie heute geschehen, den menschlichen Egoismus erst mal auf eine Formel gebracht, kann man mit ihm eine ganze Gesellschaft berechnen.
Es ist Diderot, der das »Fallenstellen« – nicht die Falle – eine »Wissenschaft« nennt. Die Herausforderung besteht darin, Lebe wesen zu fangen, die aus Erfahrung misstrauisch sind. Sie erwischt man nur, indem man Informationen sammelt und Informationen verfälscht. Die Falle muss den Köder als leichte Beute präsentieren. Der Bär, Fuchs oder Wolf muss denken, einen unerwarteten Profit zu machen. Damit das funktioniert, muss man »mit größter Sorgfalt die Stellen erkunden, an die sich die Tiere bei Tage zurückziehen, die Orte, an denen sie die Nacht verbringen, und die Wege, die sie gewöhnlich nehmen«.
Auch das Fallengehäuse ist nichts wert, ohne die Strategie des Fallenstellers. Der erfolgreichste Fallensteller ist der, der so denkt wie das Lebewesen, das gefangen werden soll; die erfolg reichsten Fallenumgeher sind die, die so denken wie der Fallensteller, der sie fangen will. Das ist die »Wissenschaft«, sie ist pure Mathematik und lässt sich in Computern programmieren: Im Kalten Krieg, als sie erfunden wurde, gab man ihr Namen wie »rational choice theory«, die Theorie des rationalen Handelns und den harmlosen Namen »Spieltheorie«.
Psychologisch
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