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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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hatten? Ein einziges Dunkel, tiefer als der Weltraum, unerhellbarer, und er ein Wanderer, der mitten hineinmarschiert, der jetzt sprechen soll, vielleicht sogar handeln, souverän, getragen von eindrucksvoller Sicherheit, ein Mann, der weiß, was man an einem Sommerabend zu sagen hat, der mit Worten eine Brücke bauen kann von einer Einsamkeit zur anderen, daß man sich darauf treffen kann, um sich wenigstens die Hand zu geben. Und was tat er? Er trieb auf einer Eisscholle ins unergründliche Meer, das kalt und rätselhaft rundum aufschwappte. Die Mädchen aber machten Gesichter, als sei die ganze Welt ein süßes Speiseeis. Hans trank einen langen Schluck seines Weißweinschorles und genoß den prickelnden Schmerz in seiner wundgerauchten Mundhöhle. Ein bißchen was hatte er schon gesagt. Gott sei Dank hatte Gaby, so hieß Margas Freundin, jetzt das Wort ergriffen. Er versuchte zuzuhören. Trank noch einmal und noch einmal, bestellte eine Flasche Weißen und trank. Und ihm wurde besser. Sein Mund war zwar pelzig geworden, er spürte es kaum mehr, wenn seine Lippen sich beim Sprechen trafen, aber ihm fiel jetzt wenigstens etwas ein, er konnte erzählen, und er hatte das Gefühl, daß es sich lohnte, ihm zuzuhören, er sah sich auch nicht mehr genötigt, gar alles, was er dachte, zu verbergen, immer nur Umwege zu machen. Gott, wie hatte er sich schon geärgert, daß ihm immer nur Sachen einfielen, die man nicht aussprechen durfte. Das war überhaupt sein größter Kummer in jeder Gesellschaft, daß er immer einen Dolmetscher in sich aufstellen mußte, auf daß der eine fade und meistens recht unzutreffende Übersetzung gebe von dem, was er eigentlich meinte. Aber jetzt ging es ganz gut. Er hatte sich in diesen Abend verliebt, in den Kies, in die dicken Baumstämme, zwischen denen sie saßen, es war eine Lust zu sprechen. Und die Mädchen lachten und lachten. Sie waren für ihn ein ganzes Orchester an Bewegung und Klang, sie steigerten ihn so, daß er sich Mühe geben mußte, nicht ins Singen zu verfallen. Er konnte allmählich die unscheinbarsten Begebenheiten erzählen, die Mädchenaugen hingen an ihm, die Köpfe bogen sich unter seinen Worten wie Blumen im Wind, die Körper schienen schwerelos zu ihm hinzuwehen, o Gott, wenn er jetzt bloß nicht versagte, das war endlich das Tor zu den Menschen, ganz normale Mädchen, die man nicht bezahlen mußte, bei denen man sich nicht selbst etwas vormachen mußte, um sie verehren zu können. Nicht daran denken, daß jetzt überhaupt noch etwas schiefgehen könnte! Wie die lachten, Gaby mehr als Marga, aufpassen Hans, rief er sich zu, Marga wird ruhiger, sie lacht ja gar nicht mehr, sie schaut dich bloß noch an, wenn er bloß die Schleier hätte zerreißen können, die ihm vor den Augen flatterten, er sah alles wie durch die verschmutzten Scheiben eines rasenden Schnellzugs. Marga mischte sich mit Gaby, Blondschöpfe bogen sich durcheinander, aber Margas ruhig gewordenes Gesicht wurde jetzt immer deutlicher, er grub seine Fingernägel in seine Schenkel, war Gabys Lachen schon Spott und Margas Gesicht bloß noch Verachtung? Er verfing sich, sein Mund zerfiel, die Kehle brannte scharf und trocken, ein paar Worte kullerten noch aus ihm heraus, verendeten mitten auf dem Tisch, er schämte sich, weil er plötzlich bemerkte, daß er schweißtriefend vor den beiden Mädchen saß, Gaby kicherte noch. Aber es fiel kein Wort mehr. Und jetzt sah Hans Beumann auch, daß die Gäste an den umliegenden Tischen zugehört hatten, sie hatten sich sogar umgedreht, saßen ihm zugewandt, als wäre er der Conferencier, der für diesen Abend die Späße zu machen hatte, gleich würden sie mechanisch applaudieren; auch zwei Bedienungen standen in der Nähe und schauten – auch jetzt noch – ungeniert zu. Marga sah vor sich hm. Er winkte mit einem Geldschein zu den Bedienungen hin. Dann verließ er, von Marga und Gaby begleitet, den Garten. »Wo wohnen Sie?« fragte er. Gaby antwortete zuerst. Gott sei Dank, dachte er, sie wohnt näher. Aber den Mund würde er nicht mehr aufbringen, den hatte Marga mit ihren Blicken zugenäht, für immer. Er konnte sich nicht vorstellen, daß er je wieder ein Wort sagen würde, stumm, stumm, stumm, dachte er, ich bin ein Stein, an dem sie sich stoßen sollen, nie wieder ein Wort, nie wieder mit Menschen sprechen, lieber im Straßengraben liegen bei den anderen Steinen, wenn der Regen fällt und ein kleiner Bach über die Steine hinnuschelt, eintönige

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