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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Geschwätzigkeit, an der man teilhat, ohne sich beteiligen zu müssen. Aber wie oft war es ihm schon so ergangen! Waren nicht alle seine Versuche, die Entfernungen zwischen den Menschen zu überbrücken, in eben diesen Abgrund gefallen, hatte er sich nicht jedesmal wieder vorgenommen, von jetzt an auf alle Annäherungsversuche zu verzichten? Und kaum hatte er den zerstoßenen Kopf wieder erhoben, hatte wieder einen Menschen gesehen, war er ihm wie ein Hund nachgerannt, hatte mit Winseln und Augenaufschlag um einen Blick gebeten und Worte gemacht…
     Gaby verabschiedete sich heiter und sagte, es sei ein hübscher Abend gewesen. Daß sie so leicht die Tür aufschließen konnte und ohne jede Mühe Abschied nahm, ärgerte ihn. Sie hatte also gar nicht mehr erwartet. Dann würde auch Marga nichts erwarten, würde gute Nacht sagen, sich umdrehen, den Schlüssel mit einem Griff placieren, die Tür aufmachen, sich nicht einmal mehr umsehen und so ruhig die Treppen hinaufgehen, als habe sie gerade einen gleichgültigen Verwandten zur Bahn gebracht. Er trottete an ihrer Seite weiter, bereit, alles hinzunehmen, was sie über ihn verhängen würde. Ihren Gute-Nacht-Gruß wollte er nur mit einem Kopfnicken beantworten, um sie wenigstens noch im letzten Augenblick darauf aufmerksam zu machen, daß sie einen Unglücklichen verlasse. Seine Trauer umschloß ihn jetzt wie ein gut sitzendes Gewand. Es tat wohl, so traurig zu sein, der ganzen Welt und besonders diesen beiden Mädchen Vorwürfe machen zu können und sich verkannt fühlen zu dürfen. Stieß man ihn so hinaus, hatte auch er keinerlei Verpflichtung, er konnte sich fallen lassen, wohin er wollte, jawohl, und die sollten seinen Stürzen noch einmal schaudernd zuschauen, dann würden sie es vielleicht bereuen, ihn nicht aufgenommen zu haben.
     Hans wartete auf eine Frage Margas. Ihr würde er seine Düsternis preisgeben. Sofort hätte er sich von seinen schwarzen Felsen geschwungen, wäre hinabgerannt wie ein Kind, dem die Mutter ruft, wenn Marga ihm nur die geringste Gelegenheit geboten hätte. Ganz wortlos konnten sie ja diesen Weg nicht zu Ende gehen. Sie hatten doch miteinander getrunken, es war gelacht worden, sie hatten sich sogar flüchtig mit den Händen berührt, als er ihr Feuer gereicht hatte; noch vor einem Jahr, wenn er in dieser Lage gewesen wäre, hätte er sie einfach angeschaut, hätte seine Hände um ihre Hüften gelegt, und dann wäre es doch mindestens zu einem Kuß gekommen! Hatte er denn alle diese Fähigkeiten seiner Jugend eingebüßt, sollte er dieses Mädchen, das, vorsichtig geschätzt, drei oder vier Männer geliebt hatte, so ohne jede Berührung in einen dunklen Hausgang entwischen lassen, um dann seinen Kopf an der zäh und langsam aber unwiderruflich sich schließenden Türe zu zerschlagen? Nein, nein, rief er sich zu und spürte doch gleich, wie wenig er tun konnte, wenn Marga ihm nicht entgegenkam. Ob ihr dies Schweigen nicht auch zuviel wurde, ob er sie nicht auch marterte, wie es ihn durch und durch marterte?
     Aber da blieb sie schon stehen, sah ihn an, lächelte breit und endlos, holte den gefürchteten Schlüssel aus der Tasche, dieses winzige, böse blinkende Schwert, das jetzt alles auseinanderschlagen würde, was die letzten Stunden gewoben hatten, und so ruhig und so unaufhaltsam, wie es sich nicht einmal er vorgestellt hatte, öffnete sie jetzt die feindlich glänzende Tür eines hellen neuen Hauses, dann gab sie ihm die Hand, streckte sie weit her und starr, er mußte zugreifen, sie sagte gute Nacht und drehte sich um, ob er geantwortet hatte, wußte er schon nicht mehr, und immer noch lag ihr Gesicht in diesem breiten Lächeln, die Tür begann sich zu schließen, auf ihn zu, er wartete, wartete, die Stille sott in seinen Ohren, bis es leise aber hart knackste, ein Laut mit einem schlürfenden Vorschlag, die Tür war zu. Irrsinnig pfeifend, ein Mörder ohne Waffen, das lächerlichste Wesen, das die Erde trägt, ging er abwärts, der Traubergstraße zu, und legte sich unter dem Getöse der durch die dünnen Wände von allen Seiten her atmenden Familien in sein karges, widerlich krächzendes Bett.

    Draußen, die ärmliche Ziegelsteinfassade entlang, über die Fensterbänke aus mürbem Sandstein hinweg, huschten die Nachtspinnen, die die Träume tragen, von Haus zu Haus, oft eine gewaltige Last für die winzigen Füße. Hans dachte ihnen nach, darum mieden sie sein Fenster, ließen ihn hängen in den schneidenden Netzen seiner

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