Eheroman (German Edition)
guten Tag sagen.
«Ivana», sagt die Frau, sie drückt Avas Armgelenk, als würde sie es kneifen, und geht kopfschüttelnd zum Haus zurück.
Auf der Treppe winkt sie Danilo zu sich. Aber der läuft mit Ava raus auf die Straße und sagt: «Mein Vater ist tot, in Kroatien, vielleicht auch nicht, vielleicht ist er lebendig in Kroatien und liegt schön braun an der Adria und frisst sich voll.»
Ava starrt ihn an und versucht, die Eindrücke zu ordnen, aber es zappelt in ihr wie Danilos Knie, wie sein Tick in ihrem Gehirn.
«Früher war er nicht im Schuppen, sondern im Haus.»
«Aber wieso denn?», fragt Ava.
«Damit ich ihn kenne, als Kind, verstehst du? Damit auch ein Vater da ist, beim Abendbrot und so. Das vergisst du doch sonst, oder?»
«Das ist ja vollkommen verrückt. Ihr seid ja verrückt!»
Danilo grinst, schaut auf den Boden und zappelt wieder mit seinem Knie, als würde im Gelenk ein kleiner Motor laufen. «Für mich war es normal so. Vater sitzt am Tisch. Und nervt nicht rum.»
Ava starrt Danilo an und das Haus und wieder Danilo mit seiner Brille.
«Als Kind, da war alles normal so», sagt Danilo.
«Was denkst du denn, was du jetzt bist? Du bist immer noch ein Kind», sagt Ava.
«Überhaupt nicht.»
«Nein? Wie alt bist du – zehn, elf, zwölf?»
Danilo zieht sie am Arm zu sich heran, sie schiebt ihn weg.
«Wie alt?»
«Ich bin fast dreizehn.»
«Also zwölf.»
«Und?»
«Du bist zwölf, und ich bin sechzehn, Danilo. Ich knutsche nicht mit Jungen, die zwölf sind. Du bist ein Kind.»
«Ich bin aber weiter als die anderen.»
«Wer sagt das?»
«Ich.»
«Na so was. Soll ich dir mal was sagen, Danilo? So funktioniert das nicht. Du musst dich erst mal verlieben, nicht? Dann muss die Frau zu dir passen und wollen, und dann kannst du mit ihr knutschen. Okay?»
«Ich hasse dich», sagt er leise, nimmt seine Brille von den Augen und wirft sie wütend auf die Erde.
Ava bückt sich und hebt die Brille auf. «Was machst du denn? Du kannst doch deine Brille nicht auf die Erde werfen, dann geht sie kaputt!»
«Soll sie doch. Soll sie doch. Es ist doch nur wegen der Brille … und allem!»
Danilo läuft zurück zum Haus und verschwindet in der Einfahrt.
«Es ist doch nicht wegen der Brille, damit hat es gar nichts zu tun.»
Ava bleibt auf der Straße stehen. In einer langen Pfütze spiegelt sich im Straßenlampenlicht die Mauer vom Hof. Ein trüb glänzendes, sich leicht bewegendes Mauerwerk. Soll er machen, was er will. Sie ist dafür nicht verantwortlich. Sie hat damit nichts zu tun. Sie will zurück zu den anderen. Sie hätte sich nicht auf den einlassen sollen. Sein fremder Atem, seine feuchte Hand, alles klein und komisch und nervig. Ihre Lippe brennt, sie fährt mit der Zunge über einen kleinen, feuchten Riss. In der Hand die Brille, Sand an den Bügeln, sie wischt sie an ihrem Bauch ab. Dann geht sie ihm, tief aufseufzend, hinterher. Später kann sie sich nicht mehr genau erinnern, warum. Es sind ihr eher verborgene Gründe.
Im Schuppen fiept es. Der Vater ist umgekippt, und Danilo tritt auf seinem Körper herum.
«Was soll das?», sagt sie, «hör sofort damit auf, du Idiot, du kleiner!»
«Meine Mutter hat gesagt, ich soll sie totmachen! Hast du doch gehört. Hat sie doch gesagt.»
Er trampelt wild keuchend auf den fiependen Dingern und auf dem Vater herum. Jedenfalls sieht es so aus, denn auf dem dunklen Boden in dem dunklen Schuppen kann sie sonst nichts sehen. Dann hört er damit auf und zieht die Nase hoch. «Du bist so gemein», flüstert er heiser und schnieft.
«Ich weiß», sagt Ava. Sie geht zu ihm, setzt ihm die Brille auf das Gesicht und fährt ihm über das wuschelige Haar. Unter den dünnen Sohlen ihrer Schuhe fühlt es sich an, als ob sie auf Mäusebabys steht. Sie drückt sein feuchtes Gesicht gegen ihre Brust und streichelt sein Haar. «Ist doch alles nicht so schlimm», sagt sie. Sie dreht sein Gesicht zu sich hoch und will ihm einen kleinen, sanften Kuss auf die Stirn geben, wenn das hilft, wenn das hilft und ihn glücklich macht, für diesen Moment. Aber seine feuchten Lippen drücken sich mit solcher Macht gegen ihre, seine Zunge schiebt sich hervor und züngelt an ihrer Lippe herum, die sie sofort fest zusammenkneift. Mit einem Zwölfjährigen knutschen, auf toten Mäusebabys neben dem gestürzten Vater. Das ist mal toll, Ava, ganz toll, das ist mal richtig zum Angeben. Sie schiebt ihn mit Gewalt von sich fort. «Jetzt hör endlich auf!»
«Ich liebe
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