Ehrenhüter
gehört.»
Steenhoff unterdrückte ein Seufzen. «Andrea, ich habe heute leider keine Zeit, mit dir zu plaudern. Und du sicherlich auch nicht. Es ist schließlich Freitagnachmittag, und soviel ich weiß, seid ihr jetzt mitten in der Produktion. Also, was willst du?»
«Okay. Dann falle ich mal ganz direkt mit der Tür ins Haus: Ich hatte heute Abend um sieben Uhr eine Verabredung, auf die ich mich schon seit Tagen freue. Und nun lese ich in der dürren Mail aus eurer Presseabteilung, dass ihr in einem neuen Tötungsdelikt ermittelt und wir gegen 18 Uhr Näheres erfahren werden.» Die Reporterin machte eine kurze Pause. «Netterweise hat mich Lars Diepenau angerufen und mich vorgewarnt, dass wir noch einen prominenten Platz auf den Lokalseiten für einen kurzen Text und zwei Bilder freihalten sollen.»
«Ja, das wäre wichtig», sagte Steenhoff mit Nachdruck.
«Was hat es denn mit diesem Fall auf sich? Und warum haltet ihr keine Pressekonferenz ab?»
«Noch wissen wir zu wenig. Vielleicht war es auch ein Unfall. Aber wir sind dringend darauf angewiesen, dass die Medien uns bei den ersten Schritten behilflich sind.»
Andrea Voss überlegte einen Moment. «Mit anderen Worten – ihr habt noch keine Spur von einem Täter und sucht nach Zeugenhinweisen? Oder …», sie zögerte. «Wisst ihr womöglich noch nicht, wer das Opfer ist?»
«Genauso ist es. Aber heb dir die anderen Fragen bitte für die Pressekonferenz Anfang nächster Woche auf. Ich habe jetzt wirklich viel zu tun.»
Doch so schnell gab Andrea Voss nicht auf. «Ein Kollege von
Bremen News
bietet den Redaktionen Bilder an, die den Leichnam zugedeckt am Bunker Valentin zeigen.»
Steenhoff fluchte innerlich. Marlowski kam ihm in den Sinn, dessen Leute einen aufdringlichen Reporter verscheucht hatten. «Ja, das Opfer lag am Bunker Valentin», sagte er und fügte energisch hinzu: «Jetzt muss ich aber Schluss machen.»
«Und wo genau?»
Steenhoff spürte, wie es in Andrea Voss arbeitete. «Ich sagte doch schon – nicht weit vom Bunker. Mehr kann ich selbst dir noch nicht sagen. Mach’s gut, Andrea. Wir sehen uns Anfang der Woche. Dann erfährst du mehr.» Hastig legte er den Hörer auf.
Steenhoff kannte Andrea Voss seit vielen Jahren. Und er hatte ihr einiges zu verdanken. Sie war die einzige Journalistin, die seine Privatnummer besaß – wenngleich sie selten davon Gebrauch machte. Dafür blieb sie ihm im Alltag umso beharrlicher auf den Fersen. Inzwischen hatte er sich angewöhnt, der Polizeireporterin auch bei einer absoluten Nachrichtensperre stets ein paar dünn belegte Informationshäppchen anzubieten. «Sonst buddelt die so lange, bis sie bei uns endlich auf einen Maulwurf trifft», hatte er Petersen einmal seine Strategie erklärt.
Ein Piepton kündigte ihm an, dass er eine SMS erhalten hatte. Gedankenverloren öffnete er die Nachricht:
Am Bunker wird selbst in Friedenszeitenauffällig viel gestorben.LG, Andrea
Steenhoff fluchte leise. Die Spekulationen der Journalisten gingen schon los und würden die Ermittler unnötig unter Druck setzen. Aber natürlich war dies die zentrale Frage: Warum lag schon wieder die Leiche einer jungen Frau beim Bunker hinter dem Deich? War darin eine Botschaft enthalten? Oder stand der Fundort für irgendetwas? Steenhoff wusste, wenn sie diese Fragen beantworten könnten, wäre er bereits ein großes Stück weiter.
Am frühen Abend schalteten Steenhoff und Petersen den lokalen Fernsehsender ein und verfolgten gespannt, wie die Journalisten ihre Nachricht umgesetzt hatten. Der Fund der unbekannten jungen Frau kam im Nachrichtenblock ganz vorn. Zu Steenhoffs Erleichterung erwähnte die Sprecherin nichts von dem früheren Doppelmord am Bunker. Dafür zeigte der Sender ein Bild vom Ohrring der jungen Frau sowie von ihrer Bekleidung. Mit ernster Stimme forderte die Sprecherin die Zuschauer auf, Hinweise auf die Identität der Toten sofort an den Kriminaldauerdienst der Polizei weiterzugeben. Dazu blendete die Redaktion die Telefonnummer noch einmal extra ein und ließ das Bild ein paar Sekunden lang stehen.
Plötzlich veränderte sich das Gesicht der Nachrichtensprecherin, und sie leitete scheinbar amüsiert zu einem neuen Thema über. Zwei 7 0-jährige Frauen waren auf rollenden Langlauf-Skiern auf Deutschlandtour. Sie wollten mit ihrer Aktion ältere Menschen ermutigen, Sport zu treiben. Petersen stand von ihrem Stuhl auf und schaltete den Fernseher ab.
«Der Bericht war gut. Wenn die anderen
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