Macht des Schicksals - Spindler, E: Macht des Schicksals
PROLOG
„Sie lebt.“
Als der Mann am Schreibtisch diese Worte hörte, umklammerte er den Telefonhörer noch fester. „Sind Sie sicher?“ Seine sonst so kraftvolle und gleichmäßige Stimme klang mit einem Mal heiser und leise. „Sie sind schon früher auf falsche Fährten gestoßen.“
„Diesmal nicht“, erwiderte der Privatdetektiv. „Ich habe die Information aus einer sehr zuverlässigen Quelle. Von einem Fälscher, der ihr einen Pass ausgestellt hat.“
Mit seiner freien Hand nahm der Mann einen Bleistift auf und hielt ihn fest umschlossen. „Wollen Sie sagen, sie hat das Land verlassen?“
„Sieht so aus.“
„Irgendeine Ahnung, wohin?“
„Sie hat meinem Kontaktmann nichts darüber gesagt. Gut eine Woche nach dem Unfall war sie bei ihm aufgetaucht, hatte ihm mitgeteilt, was sie brauchte, und dann bar bezahlt.“
Mit dem Geld, das sie aus seinem Haus hatte mitgehen lassen. „Dieser Fälscher ... hat sich bei Ihnen gemeldet? Einfach so? Nach einunddreißig Jahren?“
„Er hat sich nicht bei mir gemeldet. Ich habe ihn aufgespürt.“
„Und wie?“ fragte er misstrauisch.
Der Detektiv schien sich an dem Verhörstil des Mannes nicht zu stören, er war so etwas gewöhnt. „Ich erledige ein paar Jobs für einen hiesigen Gangster, einen alten Fuchs mit Freunden, die alle an den richtigen Stellen sitzen. Ich habe ihm gesagt, ich müsse eine Frau finden, die vor über dreißig Jahren unter einem anderen Namen das Land verlassen haben könnte. Daraufhin hat er für mich den Kontakt mit dem Fälscher hergestellt.“
„Und wie heißt dieser Fälscher?“
Der Detektiv lachte auf. „Sorry, aber er möchte lieber ungenannt bleiben. Sie verstehen?“ Er machte eine kurze Pause. „Er wollte ohnehin erst reden, nachdem ich ihm fünf Riesen zugeschoben hatte. Ich hoffe, das ist so in Ordnung“, fügte er an, wobei er ein wenig unsicher klang. „Sie haben mir selbst gesagt, dass Geld keine Rolle spielen würde.“
Der Mann machte eine fahrige Handbewegung. „Das Geld kümmert mich einen Dreck, ich will nur sicher sein, dass er Sie nicht bescheißt.“
„Macht er nicht. Er hat die Frau auf einem Foto wieder erkannt, das die Polizei nach dem Unfall in der Umgebung verteilt hatte. Als sie zu ihm kam, trug sie eine dicke Brille, und sie hatte eine andere Haarfarbe. Aber es war eindeutig sie, dafür legt mein Mann die Hand ins Feuer.“
„Welchen Namen hatte sie benutzt?“
„Virginia Potter.“
Der Mann in dem abgedunkelten Zimmer atmete tief ein, um dann die Luft langsam aus seinen Lungen entweichen zu lassen. Sie war es. Ihre Mutter hieß Virginia.
„Sie hatte auch eine Adresse in Seattle hinterlassen“, fuhr der Detektiv fort. „Ich habe sie überprüft, aber sie war falsch.“
Auch wenn ihn die Nachricht wie ein Schock traf, war er nicht wirklich überrascht. Er war anfangs einer der wenigen und schließlich der Einzige gewesen, der diesen lächerlichen Quatsch vom „Unfalltod“ nicht geglaubt hatte.
„Verstehen Sie nicht, was sie getan hat?“ hatte er den Polizeibeamten angebrüllt, der die Ermittlungen leitete. „Sie hat ihren Tod vorgetäuscht! Sie hat ihren Wagen über die Klippe geschoben und ist dann ganz gemütlich davonspaziert.“
Die Behörden waren davon zwar nicht überzeugt gewesen, hatten dann aber doch für die gesamte mittelkalifornische Küste eine Personenbeschreibung herausgegeben, während Taucher den Meeresboden absuchten. Außer dem Wagen wurde aber nur ein Koffer voller Kleidung gefunden – ihre Kleidung und die des Babys.
Am Abend des dritten Tages hatte die Polizei die Suche eingestellt, die Frau und ihr Kind waren offenbar ertrunken und wurden später offiziell für tot erklärt.
Er dagegen hatte niemals die Suche beendet.
Die Erinnerung an jene tragische Nacht war nie verblasst, so dass der Hass wieder in ihm aufstieg und seine Kehle zuschnürte. Diese elende Schlampe! Er hatte sie bei sich aufgenommen und sie wie sein eigen Fleisch und Blut behandelt. Und wie hatte sie sich revanchiert? Indem sie das tötete, was für ihn das Kostbarste war. Sein erstgeborener Sohn, sein Mario.
Jetzt endlich waren seine Gebete erhört worden. Sie lebte. Er schwor sich, dass er herausfinden würde, wo sie sich verkrochen hatte. Nicht, um sie vor Gericht zu bringen und verurteilen zu lassen – das Gefängnis war noch viel zu milde für das, was sie getan hatte –, sondern damit er selbst sie bestrafen konnte. Er würde das Miststück leiden lassen, schön
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