Ehrenhüter
unvoreingenommen an die Sache rangeht», erwiderte Wessel.
«Jetzt reicht’s.» Energisch schlug Navideh mit der flachen Hand gegen Wessels Kopfstütze. «Entweder ihr spuckt jetzt aus, was in euren Köpfen abläuft, oder ihr setzt mich an dernächsten Bank am Weserdeich ab. Dann recherchiere ich mit dem BlackBerry, was der U-Boot -Bunker für eine Geschichte hat. Oder noch besser, ich rufe mal im Archiv der Zeitung an und frage, was denen zu diesem Ort einfällt.»
Sie hatte versucht, ihrer Stimme einen drohenden Unterton zu geben. Zu ihrem Erstaunen verzog Steenhoff keine Miene. Er schien weit weg und in Gedanken versunken.
«Frank, was ist da am Bunker passiert?» Sie spürte, wie sie immer wütender wurde. Was sollte diese Geheimniskrämerei?
Steenhoff richtete sich gerade in seinem Sitz auf. «Der U-Boot -Bunker war schon einmal Schauplatz grausiger Morde.»
«Ja, ich weiß. Zwangsarbeiter mussten den Bunker bauen. Aber die Gräueltaten liegen doch schon mehr als 65 Jahre zurück.» Petersen war irritiert.
«Von diesen Morden rede ich nicht.»
«Sondern?»
«Im August 1999 wurde dort ein junges Paar von drei Männern getötet. Es war mit das Grausamste, was ich je gesehen habe.» Steenhoffs Stimme klang belegt. Wessel starrte aus dem Fenster, als erfordere der Verkehr von ihm als Beifahrer seine ganze Aufmerksamkeit.
«War das der …» Petersen suchte nach einem Begriff, den sie mal im Präsidium gehört hatte. «… der Bunker-Mord?»
Steenhoff nickte.
«Was ist damals passiert?»
«Die falschen Leute hatten sich ineinander verliebt», antwortete Wessel lakonisch.
Petersen unterdrückte eine ungeduldige Bemerkung und rückte auf die andere Seite der Rückbank, sodass sie Steenhoffs Gesicht besser sehen konnte.
«Bei dem Paar handelte es sich um junge Kurden. Sie war 18, er fünf Jahre älter», begann Steenhoff. «Abdullah hatte schon als Jugendlicher für die PKK in der Türkei gekämpft und gehörte zum Parteikader. Irgendwann wurde er so schwer verletzt, dass er im Rollstuhl sitzen musste. Die PKK schickte ihn nach Deutschland. Nach Bremen. Dort wurde er von Familie zu Familie gereicht und versorgt. Er war für die Kurden ein Held. Einer, der sein Leben für die Sache der PKK riskiert hatte.» Steenhoff überholte einen Wohnwagen, dann fuhr er fort. «Irgendwann kam er in Yasemins Familie. Auch dort wurde er wie ein Märtyrer gefeiert. Trotz seiner Jugend verehrten und respektierten auch die älteren Männer ihn als ehemaligen Kämpfer – bis Yasemin sich in ihn verliebte.»
«Und er sich in sie», warf Wessel ein.
«Ja, und er sich in sie. Damit war die Katastrophe vorprogrammiert.»
«Aber er war doch angeblich so anerkannt und beliebt?» Navideh verstand nicht, warum die Beziehung kompliziert sein sollte.
«Das stimmt», sagte Steenhoff. «Aber erstens war er ein Krüppel und nicht der Ehemann, den sich Yasemins Eltern für ihre Tochter wünschten. Und zweitens gehörte Abdullah der PKK an. Er durfte als Kämpfer nicht einfach heiraten und eine Familie gründen. Nicht ohne Zustimmung der Partei.» Steenhoff räusperte sich. «Um es kurz zu machen: Die beiden zogen gegen den Willen von Yasemins Eltern und der Partei zusammen. Das war ihr Todesurteil. Im August 1999 wurden sie unter einem Vorwand von drei Männern abgeholt. Nach einem Zwischenstopp in einer anderen Wohnung auf dem Land fuhren sie nachts weiter. Ziel war der Bunker Valentin. Dort zerrten sie Yasemin unter vorgehaltenerPistole aus dem Wagen und schleiften sie Richtung Weser. Zwei der Männer drückten ihr Gesicht so lange in den Schlick, bis sie nicht mehr atmete.»
Angewidert verzog Navideh das Gesicht.
«Ein schrecklicher Tod», sagte Steenhoff. «Aber kein Vergleich zu den Qualen, die Abdullah erwarteten. Der junge Mann war aus dem Wagen gerobbt und musste hilflos mit ansehen, wie die Männer seine Geliebte über den Deich wegführten. Er konnte ja nicht laufen. Als die Männer ohne die Frau wieder zurückkamen, fing er an zu schreien. Sie stießen ihn vor den Wagen und fuhren so lange über den gelähmten Mann, bis er sich nicht mehr rührte. Aber er war noch immer nicht tot. Der Rädelsführer holte daraufhin einen Radmutterschlüssel aus dem Kofferraum des Wagens und schlug damit immer wieder auf den Kopf des Opfers ein. Als die Männer sicher waren, dass Abdullah tot war, fuhren sie nach Hause. Am nächsten Morgen fand ein Spaziergänger vom nahe gelegenen Campingplatz die entstellte Leiche.»
Niemand
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