Ehrensachen
mir entsetzlich, verständlicherweise, wie ich finde. Außerdem hatte sich noch etwas Neues und für mich sehr Verwirrendes herausgestellt. Als ich in den Osterferien meines letzten Schuljahrs nach Hause kam – meine Zulassung zum Harvard College hatte sich schon herumgesprochen –, sagten mir meine Eltern, daß Mr. Hibble, der Anwalt, der die meisten juristischen Belange der Bank handhabte, mich in sein Büro gebeten habe, mich allein sprechen wollte und daß ich hingehen solle. Ich kannte Mr. Hibble aus dem Club als einen cholerischen Tennisspieler. Mein Vater, mit dem er natürlich oft zu tun hatte, bezeichnete ihn regelmäßig als einen langweiligen Schwachkopf, aber das war mir nicht weiter wichtig. Ich rechnete damit, daß mein Vater abschätzig über alle Leute redete, die erfolgreicher und besser bezahlt waren als er, besonders dann, wenn ihm die wirklichen oder eingebildeten beruflichen Leistungen des betreffenden Schwachkopfs mit einer gewissen Penetranz unter die Nase gerieben wurden. Ich war sehr neugierig, was diese von meinen Eltern so nachdrücklich unterstützte Einbestellung bedeuten mochte. Obwohl ich in der Schule nichts verbrochen hatte und auch mit der Polizei unserer Stadt nicht so aneinandergeraten war, daß ich einen Rechtsbeistand gebraucht hätte, konnte ich mir doch nicht denken, daß die Besprechung mit Mr. Hibble etwas Gutes ergeben würde.
Ich erschien zur verabredeten Stunde in seinem Büro und erfuhr von ihm, nach ein paar einleitenden Floskeln über meine harte Arbeit und meinen schönen Erfolg, daß er der Treuhänder eines vom verstorbenen Mr. Horace Standish, dem Familienoberhaupt und Bruder meines Großvaters, eingerichteten Trusts war und daß er beschlossen habe, es sei an der Zeit, mich davon in Kenntnis zu setzen, daß meine Studiengebühren und meine Ausgaben im College aus diesem Treuhandvermögen bezahlt würden, aus dem auch mein Internatsaufenthalt finanziert worden sei. Er hatte mir noch mehr mitzuteilen. Ich sei berechtigt, Ausschüttungen aus den Erträgen des Trusts zu beziehen – ansehnliche Beträge, die mich aber nicht der Notwendigkeit entheben würden, mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Beschränkung sei nach seiner Einschätzung nur zu meinem Besten. In Notlagen und in gut begründeten Ausnahmefällen könne ich sogar auf das Kapital zugreifen. Man habe mich nicht früher von der Existenz und Funktion des Trusts in Kenntnis gesetzt, fuhr Mr. Hibble fort, weil ich zu jung gewesen sei. Dann ließ er die Bombe platzen: Zweck des Trusts und Grund für Mr. Standishs Großzügigkeit sei es gewesen, meinen Eltern, als klar wurde, daß sie keine eigenen Kinder bekommen konnten, finanzielle Anreize oder auch Möglichkeiten für meine Adoption zu bieten. Das Wort »Prasser« im Zusammenhang mit meinem Vater und dem Geld hatte Mr. Hibble nicht ausdrücklich gesagt, aber auch unausgesprochen stand der Tadel im Raum wie die Qualmwolken aus seiner Zigarre. Die Adoption habe bei meiner Geburt stattgefunden, fügte er hinzu, und sie sei ein Segen für meine Eltern wie auch für mich gewesen. Als ich wieder Luft holen konnte, fragte ich, ob er wisse, wessen Kind ich sei. Er erwiderte, das wisse niemand. Damals habeman derartige Angelegenheiten unter absoluter Verschwiegenheit geregelt. Für alle Zeiten.
Ich fuhr sehr langsam nach Hause. Es war spät am Nachmittag, und ich wußte, daß meine Eltern beide mit Drinks in der Hand auf mich warteten. Mein Vater bot mir auch einen an, einen Gin Tonic, den ich nahm. Mutter weinte, natürlich. Beide boten mir zudem Versicherungen ihrer Liebe an; die, sagte ich ihnen, seien unnötig. Das stimmte. Selbst wenn ich mich noch so sehr ihretwegen schämte, verstand ich doch, daß sie irgendwie vom anderen Ufer des Alkoholflusses aus versuchten, gut zu mir zu sein, meine Mutter in ihrer dümmlichen, wimpernklimpernden Art, mein Vater so träge und steif, wie er eben war. Womöglich hatte man ihm irgendwann in seiner sehr frühen Jugend eine Novocain-Injektion verpaßt, die ein Leben lang betäubend wirkte. Dann sagte er, wir sollten weitermachen wie bisher; über die Adoption müßten wir nie wieder reden. Nur Mr. Hibble sei eingeweiht; niemand wisse, wer meine anderen Eltern – das Wort blieb ihm etwas in der Kehle stecken – wären, und deine Mutter, sagte er, mit dem Finger auf sie zeigend, damit ich nicht in Verwirrung geriet, deine Mutter hatte dafür gesorgt, daß alle, einschließlich der Familie, hinters Licht geführt
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