Ehrenwort
sich nichts gebrochen, war aber unterkühlt und vor Schreck etwas aus dem Takt geraten. Er wurde von Max ins Bett gebracht, bekam eine Wärmflasche auf den Bauch und musste sich die Untersuchung eines Notarztes gefallen lassen.
»Gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen«, sagte er und zitterte noch nach Stunden am ganzen Leib. »Contra vim mortis... wie geht das bloß weiter? Ich habe mein Latein vergessen!«, und vor Kummer tropfte es unaufhaltsam aus Mund, Augen und Nase auf das frischbezogene Kopfkissen. Max reichte ihm ein Taschentuch.
»Wenn ich sterbe, müsst ihr meine Asche im hortus conclusus begraben«, bat er wehleidig.
»Wo soll das denn sein?«
»In Ilses Steingarten.«
»Opa, von Sterben ist nicht die Rede«, sagte Max. »Der Arzt hat nur ein paar Blutergüsse entdeckt, du kannst Arme und Beine bewegen und hast echt Schwein gehabt. Jetzt bleib mal zwei Tage im Bett, dann bist du wieder fit.«
Die blauen Flecken taten allerdings weh, der Alte jammerte und stöhnte, schlug um sich, warf das Wasserglas um, wurde aggressiv und fing leider wieder an zu spinnen.
»Wo ist mein Geld geblieben, wo meine Waffe? Es wird Zeit, dass ich tabula rasa mache ...«
Max quälte sein schlechtes Gewissen. Kürzlich hatte der Großvater seine Bankauszüge verlangt. Ob er überhaupt noch verstand, was die Kontobewegungen bedeuteten? Zwar hatte er seinem Enkel eine Vollmacht ausgestellt, aber früher war stets ein größerer Betrag der Rente auf ein Sparbuch gewandert; jetzt war am Monatsende alles aufgebraucht. Einerseits hatte Willy Knobel ja angeordnet, die Ausgaben für den gemeinsamen Haushalt und den Pflegedienst davon zu bestreiten, andererseits hatte der Opa wohl den Überblick verloren, wie viel das alles kostete.
Es war wohl wirklich nicht richtig, überlegte Max, dass unter anderen - nicht unbedingt nötigen - Ausgaben auch Jennys hautärztliche Rosskur vom großväterlichen Geld bezahlt wurde. Der Falke auf ihrem Rücken war bereits zum großen Teil entfernt worden und würde in einigen Wochen völlig verschwinden. Sollte er es dem Großvater beichten? Wahrscheinlich war allein die Vorstellung einer Tätowierung ein solcher Schock für ihn, dass Jenny in seiner Gunst merklich sinken würde. Er jammerte sowieso seiner Elena nach, die er durch den Umzug verloren hatte. Stattdessen erschien morgens ein übergewichtiger und kurzatmiger Pfleger.
Willy Knobel lag nach seinem Sturz bereits seit drei Tagen im Bett und wurde immer zorniger, renitenter und konfuser.
Max hatte seit einigen Stunden nicht nach dem Alten geschaut, und das rächte sich. Sein Großvater bombardierte ihn mit der Programmzeitung, dem Brillenetui und einem Kirschkernkissen. Das Tablett rutschte Max aus der Hand, die Bouillon verbrühte seinen nackten Fuß und ergoss sich auf den Teppich.
»Apage, satanas!«, brüllte der Alte.
28
In seiner Not versuchte Max, Jenny per Handy zu erreichen. Sie hasste es zwar, wenn man sie ohne dringenden Grund bei der Arbeit störte, aber es ging jetzt nicht anders.
»Ich kann den Opa nicht mehr in den Griff kriegen«, sagte Max. »Kannst du nicht noch einmal dein Zaubermittel mitbringen?«
»Die Frau, die es regelmäßig verschrieben bekam, gehört jetzt nicht mehr zu meinen Patienten. Aber ich versuche, bei einem anderen etwas abzuzwacken«, versprach sie.
Max setzte sich neben seinen Großvater ans Bett, stellte den Fernseher ab und versuchte, den Alten zu beruhigen und zum Trinken zu bewegen. Meistens konnte er nicht richtig verstehen, was da gebrabbelt wurde, aber es waren offensichtlich Verarmungsängste, die seinen Opa so quälten. Die anerzogene Sparsamkeit, der kriegsbedingte Geiz und die späte Großzügigkeit gegenüber seinem Enkel verhedderten sich in seinem Kopf zu verhängnisvollen Vorstellungen.
»Alles verloren, alles zerstört«, klagte er.
»Die gesamten Ersparnisse perdu! Ach Ilse, wie gut, dass du es nicht mehr erlebst.«
»Opa, reg dich nicht so auf, alles wird gut...«
»Gar nichts wird wieder gut! Das ganze Leben geschuftet für nichts und wieder nichts. Ich kann und mag nicht mehr...«
So ging es über zwei Stunden, bis Jenny mit dem ersehnten Medikament eintraf. Sie zögerte keine Minute, die Tropfen mit etwas Wasser zu verdünnen, um sie dann dem Patienten mit sanftem Nachdruck einzutrichtern.
»Bellum omnium contra omnes«, knurrte der Alte und schluckte widerwillig.
»Was heißt das?«, fragte Jenny, aber Max wusste nur, dass es etwas mit Krieg zu tun haben
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