Ehrenwort
musste.
»Gleich wird er einschlafen«, sagte sie und nahm eine Windelhose aus dem Schrank. »Allerdings weiß ich nicht genau, ob dieses Sedativum ebenso gut bei ihm wirkt wie das vorherige. Hast du noch etwas zu essen für mich?«
Mit flinken, lang geübten Handgriffen hatte sie ihrem Schützling die Fleece-Hose und die Windel heruntergezogen. Sekundenlang lag er nun mit entblößtem Unterleib vor ihnen, ein Bild des Jammers und der armseligen Hilflosigkeit, das Max kaum ertragen konnte. Willy Knobel zuckte mit den Mundwinkeln, als wollte er weinen, aber sie hörten keinen Laut. Als Jenny ihn frisch gepampert hatte, senkte sie das Bett ab und zog das Seitengitter in die Höhe, so dass der Alte nicht herausfallen konnte.
»Schlaf gut, Opa«, sagte Max und löschte das Licht.
»Übrigens ist es typisch für seine Generation«, sagte Jenny später, »dass sie alle eine Wahnsinnsangst haben, ihr Hab und Gut zu verlieren. Viele hängen immer noch an der guten alten D-Mark und bilden sich ein, der Euro sei wertloses Inflationsgeld. Das kommt wohl durch den Krieg und die Folgen. Denn wenn die Alten phantasieren, dann selten vom Paradies.«
Beide begaben sich in die Küche. Max beeilte sich, zwei Gläser mit Rotwein zu füllen, eine gefrorene Packung Cannelloni mit Parmesan zu bestreuen und in einer feuerfesten Form in die Mikrowelle zu schieben.
Jenny machte sich mit gutem Appetit darüber her.
»Bin gleich wieder da«, sagte Max. »Ich schaue nur mal nach, ob er schon schläft.«
Als er wieder in der Küche Platz nahm, hatte Jenny das schmutzige Geschirr bereits in die Maschine geräumt und wischte mit einem Lappen den Tisch ab.
»Er murmelt nur ganz leise vor sich hin«, sagte Max erleichtert.
Auch Jenny entspannte sich nach ihrem anstrengenden Dienst, legte die Beine hoch, trank ein zweites Glas Wein und blickte Max zufrieden und leicht angesäuselt an.
Inzwischen ahnte er, dass in ihrer Brust zwei Seelen schlummerten. Einerseits war Jenny verletzlich und hatte nah am Wasser gebaut, andererseits von entschlossener Tatkraft und nahezu kaltblütig, wenn rasches Handeln nötig wurde.
»Mein Traum war immer«, sagte sie leise, »einen Arzt zu heiraten, zwei Kinder zu bekommen, in einem hübschen Haus mit Garten zu wohnen und meinem Mann in der Praxis zu helfen.«
»Ein schöner Traum«, sagte Max, »der auch mir gefällt. Aber die Realität sieht ganz anders aus: Ich kriege keinen Studienplatz und werde niemals Arzt.«
»Du gibst dir auch keine Mühe«, sagte sie etwas gereizt. »Dem Enkel einer Patientin ist es ähnlich ergangen wie dir, er hat aber nach allen Seiten seine Fühler ausgestreckt und ist jetzt an einer Universität in Innsbruck eingeschrieben. Hast du so etwas überhaupt versucht?«
Max schüttelte den Kopf.
»Ich werde auf jeden Fall Altenpfleger«, sagte er.
»Opas Haus werde ich irgendwann verkaufen und den Erlös mit meiner Schwester teilen.«
Jennys friedfertige Stimmung kippte. »Anscheinend hast du mich bei deinen Plänen überhaupt nicht einkalkuliert. Die Männer, die ich früher hatte, wollten nur mit mir ins Bett gehen«, sagte sie. »Bei dir habe ich geglaubt, dass alles anders ist.«
Ihre Worte beschämten Max, denn im Grunde wurde auch seine Liebe hauptsächlich durch Testosteron gesteuert. Leicht verlegen stand er auf, ging zum Fenster und sah unter einer Straßenlaterne ein Motorrad parken. Mein Gott, hat Falko mich jetzt bis nach Dossenheim verfolgt?, dachte er mit Entsetzen. Dann wird es ihm auch nicht schwerfallen, für Pit Bull einen Ersatz zu finden!
»Was hast du denn nun schon wieder?«, fragte Jenny, als Max zu zittern begann.
»Draußen lauert Falko mir auf«, flüsterte er. »Du erwartest wahrscheinlich, dass ich genauso cool bin wie du. Aber solche Typen machen mir Angst. Entsetzliche Angst!«
»Reg dich ab, es ist nicht seins, Falko ist tot«, entfuhr es Jenny, und im selben Moment zuckte sie zusammen. Schließlich hatte sie Petra fest versprochen, über die Ereignisse jener schrecklichen Nacht für immer und gegen jedermann Schweigen zu bewahren.
Max fuhr herum. »Was?«, rief er. »Hast du ihn etwa auch umgebracht?«
Sein höhnischer Unterton reizte Jenny bis aufs Blut.
»Ich doch nicht, sondern deine Mutter! Und zwar mit Pit Bulls Eisenstange«, schrie sie aufgebracht. »Eure feine Familie ist auch nicht besser als ich.«
Max glaubte ihr kein Wort. Er insistierte so lange, bis Jenny zu weinen begann und ihm die ganze Geschichte erzählte.
»Okay«,
Weitere Kostenlose Bücher