Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)
schütteln. »Dein Haus –
oder das deiner Frau?«
»Unser Haus.«
Sydow lief es kalt den Rücken hinunter, und obwohl er der Letzte gewesen wäre, der
dies zugegeben hätte, spürte er, wie es ihm die Kehle zuschnürte. Ohne jeden Zweifel
war das hier seine Schwester, wenngleich er sich fragte, was von ihr übrig geblieben
war. Schien die Frau, deren Blick ihn an Bette Davis [55] erinnerte, doch absolut nichts mit ihr gemeinsam zu
haben. »Meine Frau hast du ja bereits kennengelernt.«
»Das habe
ich, in der Tat.« Helen Fitzpatrick alias Agnes von Sydow zwang sich zu einem Lächeln.
Und fügte süffisant hinzu: »Sie passt zu dir.«
»Wozu dieses
Versteckspiel?«
»Seit wann
ist es verboten, bei der Beerdigung von Verwandten zu erscheinen?«
»Du weißt
genau, was ich meine!«, grollte Sydow, im Abwehrkampf gegen den Jähzorn, der ihn
unvermittelt packte. »Ich nehme an, du hast die Todesanzeige in der Zeitung gelesen.
Warum greifst du dann nicht zum Hörer und rufst mich an?«
»Ich wüsste
nicht, was dich das angeht, Tom«, erwiderte Helen Fitzpatrick, straffte ihre dunklen
Handschuhe und presste die Lippen aufeinander. »Aber ich will mal nicht so sein.«
Die Frau im dunklen Kostüm lächelte. »Sagen wir mal so: Ich war neugierig.«
»Ich auch.
Wieso hast du dich nicht bei mir gemeldet, Agnes?« Allmählich geriet Sydow in Fahrt.
»Oder glaubst du, es macht Spaß, wenn man seine Schwester für tot erklären lässt?«
»Jetzt hör
mir mal gut zu, Bruderherz. Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Was ich tue,
geht dich nichts an, hörst du?«
»Das stimmt
nicht ganz, Agnes«, erwiderte Sydow mit fester Stimme. »Wenn du etwas auf dem Kerbholz
hast, geht mich das sehr wohl etwas an.«
»Findest
du?«, fauchte der blonde Vamp, durch dessen Haar ein kräftiger Windstoß fuhr und
den Bubi-Schnitt in heillose Unordnung brachte. »Ich fürchte, da muss ich dich eines
Besseren belehren.«
»Was hast
du vor, Agnes, raus mit der Sprache!«
»Das geht
dich nichts an, kapiert?«, schrie Helen Fitzpatrick, dem Backfisch, wie Sydow ihn
kannte, auf einmal zum Verwechseln ähnlich. »Immer musst du den Polizisten spielen,
du kannst gar nicht anders, oder? Damit du Bescheid weißt, Tom: Ich bin amerikanische
Staatsbürgerin. Schreib’ dir das hinter die Ohren! Es geht dich einen feuchten Dreck
an, womit ich mir die Zeit vertreibe, klar?«
»Aber nur,
wenn du nicht gegen das Gesetz verstößt.«
»Recht,
Gesetz, Ordnung!«, giftete Sydows Schwester und richtete den Blick zum Himmel. »Mein
Bruderherz, wie er leibt und lebt. Kannst du mir sagen, was ich verbrochen habe?
Nein? Siehst du, jetzt bist du sprachlos! Und überhaupt: Wie kommst du eigentlich
auf die Idee, nach mir fahnden zu lassen? Ich habe Geschäfte zu tätigen, ist das
klar? Wichtige Geschäfte. Dabei lasse ich mir nicht ins Handwerk pfuschen. Von niemandem,
hörst du? Weder von dir noch von all den Witzfiguren, die sich Polizisten schimpfen!«
»›Geschäfte‹
– aha! Kann es sein, dass sie etwas mit alten Bekannten zu tun haben?«
»Und wenn
schon – was kümmert’s dich!« Krebsrot vor Wut, begann die Fassade, an die sich Sydows
Schwester klammerte, zu bröckeln. »Bist ja schließlich auf der richtigen Seite gewesen.
Wie fühlt man sich eigentlich, wenn man Vater und Schwester im Stich lässt und nichts
Besseres zu tun hat, als ins Lager des Feindes zu wechseln?« Die Augen von Helen
Fitzpatrick traten aus den Höhlen, sprühten geradezu vor Hass. »Weißt du, was du
bist, Tom? Ein Vaterlandsverräter! Ein elender, selbstgefälliger Vaterlandsverräter.«
»Du vergisst
dich, Agnes.«
»Findest
du? Wenn sich jemand vergessen hat, dann du.« Die Frau in Schwarz schäumte vor Wut.
»Kaum zu glauben! Brennt mit einem Judenflittchen durch und bildet sich ein, mir
Vorschriften machen zu können. Das soll mal einer verstehen. Hör zu, was ich dir
jetzt sage, Herr Kriminalhauptkommissar: Wenn du denkst, ich spinne, bist du schiefgewickelt.
Du wirst noch von mir hören, das garantiere ich dir. Du glaubst mir nicht? Wirst
schon sehen, großer Bruder, wirst schon sehen! Ich habe Freunde, mächtige Freunde.
Verbindungen, von denen du nur träumen kannst.«
»Verbindungen
zum Eichmann-Syndikat?«
Sydows Schwester
brach in hysterisches Gelächter aus. »Also gut, Tom, falls du es genau wissen willst:
Ich habe ihn gekannt – gut gekannt, wenn du verstehst, was ich meine.«
Sydow ließ
den Kopf hängen und schwieg.
»Wie dem
auch sei –
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