Eifel-Blues
Grasflecken vor der Bank. »Du redest einen Scheiß«, sagte er endlich ohne Atem.
»Ich sage die Wahrheit. Ich bin Journalist und will nur wissen, was passiert ist. Irgendwie geht es mir unheimlich an die Nerven, dich übers Ohr zu hauen. Lorenz ist erschossen worden, mit einer Schrotflinte. Es hat nie einen Unfall gegeben.«
»Aber der Verteidigungsminister hat uns geschrieben ... ach so, so ist das.« Er stand auf und machte ein paar seltsam lächerliche Trippelschritte. Dann drehte er sich abrupt zu mir herum und brüllte: »Wenn das jetzt auch nicht die Wahrheit ist, bringe ich dich um!« Er setzte sich unvermittelt in einen Sandfleck im Gras, beugte sich weit vornüber, und sein Atem ging immer hastiger. Er flüsterte immer wieder: »Lorenz, ach Gott, Lorenz!«
Er wiegte sich vor und zurück in seinem Schmerz. Dann wurde sein Gesicht dunkel, und er rang nach Atem.
»Leg dich lang«, sagte ich fiebrig, packte ihn an den Schultern und drückte ihn flach in das Gras. Sein Mund stand halb offen, und etwas Speichel lief über sein Kinn. »Bleib ganz ruhig liegen und bewege dich nicht!«
Ich rannte in das Haus. Elsa lag auf dem Ledersofa und schlief fest. Ich rüttelte sie und sagte: »Monning geht es sehr schlecht. Hol einen Arzt ran, aber schnell.« Dann rannte ich wieder hinaus.
Er lag so, wie ich ihn verlassen hatte, und sein Atem ging mühsam und angestrengt, und seine Hände krallten sich in das Gras. Er flüsterte mit geschlossenen Augen: »Ist doch eigentlich scheißegal, oder? Tot ist tot.«
»Er ist tot«, sagte ich. »Hast du Schmerzen?«
Er schüttelte den Kopf. »Du hast keine Ahnung, wie schwer ich mich fühle. Wie Blei. Wieso erschossen?«
»Das weiß ich nicht genau. Ich habe durch Zufall davon erfahren.«
»Aber es gibt doch einen Polizeibericht. Und das Schreiben vom Krankenhaus.«
»Gefälscht, alles gefälscht.«
»Aber der Staat kann doch so was mit mir nicht machen ... doch, er kann, Mann, bin ich schwer, ich kann die Arme nicht bewegen.«
»Bleib ruhig liegen. Ich habe schon gedacht, du hättest ihn erschossen.«
»Ach so ist das. Jetzt verstehe ich das erst.« Er mühte sich zu lächeln. »Jetzt verstehe ich das, ach so.« Er war kaum noch zu verstehen, sein Gesicht war grau, und sein Atem ging mühsam.
Ich hockte da im Sand und spürte mich nicht. Ich dachte trotzig, daß es trotz allem gut gewesen sei, ihm die Wahrheit zu sagen. Ich mochte ihn.
Der Arzt war ein alter, kleiner, dürrer Mann mit einem sehr unordentlichen gelben Schnurrbart und einem Hut auf dem Kopf, der schon die Bauernkriege überlebt haben mußte.
»Was ist?« fragte er ganz knapp mit schmalen Augen und stellte seine Tasche in das Gras.
»Er hat einen schweren seelischen Schock erlitten.«
»Tja, dann holen Sie mir mal Wasser, junger Mann. Was war in der Flasche da?«
»Schnaps.«
»Na ja, es war wohl alles zuviel. Zuviel Tod, zuviel Kummer, zuviel Schnaps.«
Er begann zielstrebig zu arbeiten, nahm eine Ampulle aus der Tasche, brach die Spitze ab und zog den Inhalt auf eine Spritze.
Ich rannte in das Haus. Elsa hockte mit angezogenen Beinen auf einer Truhe. Erst jetzt fiel mir auf, daß sie nicht aus dem Haus gekommen war.
»Du hast ihm die Wahrheit gesagt, nicht wahr?«
»Ja. Er ist verdammt zu schade für Lügen. Ich brauche Wasser.« Ich rannte mit einem Topf Wasser hinaus und stellte ihn neben den Arzt.
Der Arzt nahm den Topf hoch und goß das Wasser Monning einfach ins Gesicht. »Das wirkt bei Mensch und Tier«, sagte er resolut. »Es muß ein schwerer Schock gewesen sein. Konnten Sie ihm den nicht ersparen?«
»Nein. Wird er wieder?«
»Der wird wieder. Ist eben beste Qualität. Ich habe gehört, Sie waren ein Kollege von Lorenz.«
»Nein. Ich bin Journalist, ich habe Lorenz gar nicht gekannt.«
»Oh!« sagte er erschreckt.
»Der Schock war, daß Lorenz Monning erschossen worden ist. Aber Sie sollten nicht darüber sprechen.«
»Hannes redet nie über Patienten«, murmelte Monning mit geschlossenen Augen.
»Hör mal, du Suffkopp«, sagte der Arzt liebevoll, »bleib noch eine Weile liegen, und hör uns Erwachsenen zu. Du wirst in den nächsten Tagen kommen und dir Vitaminspritzen holen.«
»Scheiß drauf. Lorenz ist tot, und ich gehe sowieso ein.« Das klang sehr wütend, und er hatte die Augen geöffnet, und deren Grund war ein Feuer.
Der Arzt lachte, er lachte überzeugend. »Natürlich wirst du irgendwann eingehen. Ja, ja, du und dein verdammter kleiner Krebs. Ich habe Leute wie
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