Eifel-Blues
gesagt: Mit mir nicht, Doktor, mit mir nicht. Was ist los? Und dann hat er zugegeben, daß ich Krebs habe und daß eigentlich nichts mehr zu machen ist. So ist das.« Er versuchte sich die Hosen hochzuziehen, und als das nicht klappte, half ich ihm. Er sank in den Sitz zurück und keuchte.
Es war sehr still im Stall, nur ein paar Schmeißfliegen hatten sich verirrt und machten ihren Lärm.
»Und du bist zu deinem Lorenz und hast ihm das gesagt. Und er hat geglaubt, du wolltest ihn erpressen. Er hat gesagt: Ich komme nicht! Und dann hast du es getan!«
Sein Kopf kam hoch, und sein ganzes Gesicht fiel in Falten, als er sich quälend bemühte zu verstehen, was ich gesagt hatte. Er verstand es nicht. »Ich bin sechsmal zu Lorenz in die Eifel. Also nicht zum Depot oder so, mal in Bonn, mal in Gerolstein, mal in Adenau, mal in Köln. Wir haben uns getroffen, verstehst du? Wir haben geredet wie Freunde, verstehst du? Ach so, ach so, jetzt verstehe ich das mit der Erpressung. Nix Erpressung. Er hat es verstanden, er hat gesagt: Unter diesen Umständen komme ich für ein paar Monate und helfe bei der Übergabe. Ich habe ihm, na ja, ich habe ihm vorgeschlagen, er soll doch diese Hotelidee mit dem Scheißbahnhof in Walsdorf sein lassen, er kann doch mit der Marita hierherkommen und die Sache hier aufziehen. Er konnte doch drauf bestehen, daß die Gaby mit den Kindern verschwindet, denn ohne sein Erbe, verstehst du, ohne sein Erbe, ohne meinen Hof und mein Land ...«
»Ohne das alles kann sie nichts machen«, sagte ich.
»Richtig. Und ich glaube, er hat daran rumüberlegt. Auf jeden Fall wollte er ab Januar helfen, daß alles in die richtigen Bahnen kommt, verstehst du?«
»Wer wußte das?«
»Ich weiß nicht, die Familie weiß das, ich hab ja drüber geredet, ganz offen drüber geredet. Und ich kann die Gaby nicht ab, ich ... na ja, sie hat die Kinder. Meine Enkel, verstehst du? Für meine Enkel...«
Sein Kopf fiel vornüber, und er begann zu weinen. Da war kein Geräusch außer diesem erstickten, grauenhaft hilflosen Weinen.
Nach einer Weile kam er mit einem ganz grauen Gesicht zu sich, ließ sich von mir aus dem Auto helfen, und dann deckten wir die staubige Plane wieder über sein Geschenk.
Er ging steif wie ein Ladestock vor mir her aus dem Stall und setzte sich auf die Bank unter der Eiche. Ich setzte mich neben ihn, und wir sahen zu, wie die Sonne vom Himmel kam.
»Ich habe in der letzten Zeit dauernd Angst vor der Nacht. Vor jeder Nacht.« Er preßte die Lippen aufeinander und blies die Luft aus sich heraus. »Deshalb saufe ich soviel, deshalb quatsche ich auch soviel. Die Angst macht mich verrückt. Man sagt doch immer, die Münsterländer sind schweigsam. Sind sie nicht. Nicht, wenn sie Angst haben. Lorenz hätte dieses Weib nicht heiraten dürfen, niemals. Die wollte nur den Hof, die hatte nur diese Scheißgroßschlachterei im Kopf, von Anfang an. Die hat die Kinder gekriegt wie eine Pflichtübung. Und als Lorenz das begriff, ist er weggeblieben. Klar, wäre ich auch, wäre ich verdammt auch.« Er schluchzte und sagte: »O Scheiße, o Scheiße, o Scheiße!«
»Und dir fehlt jetzt ein Gewehr, nicht wahr? Eine zweiläufige Mauser Schrot, nicht wahr?«
»Ja, aber ist doch nicht wichtig, ist doch alles nicht mehr wichtig. Es ist so schwer, mitansehen zu müssen, wie hier alles vor die Hunde geht. Ich kann nichts mehr machen, ich bin ein alter Mann, und ich bin müde. Wenn ich könnte, würde ich sie alle umlegen, einfach alle.« Dann weinte er wieder lautlos und wiegte sich in seinem Schmerz hin und her.
ZWÖLFTES KAPITEL
Ich weiß nicht genau, wie lange wir da wortlos unter der Eiche hockten. Als die Sonne sich groß und rot unter den Horizont senkte, sagte er: »Du kannst meinen Wagen nehmen, ich kann sowieso nicht mehr fahren. Ich hole ihn mir morgen an der Kneipe ab. Rede nicht über das, was ich sagte, es ist ja doch alles zu spät. Komm mal wieder, wenn du Zeit hast.« Er wirkte nicht betrunken, er wirkte so, als habe man ihn in einer öligen Lösung erstarren lassen.
»Ich will dir nicht länger was vormachen«, murmelte ich. »Du wirst es irgendwann erfahren, und du wirst dich fragen, warum ich dir so einen Stuß erzählt habe. Ich heiße Baumeister, aber ich bin nicht bei den Panzergrenadieren. Und dein Lorenz ist nicht bei einem Unfall umgekommen, dein Lorenz wurde erschossen.«
Er hockte neben mir und rührte sich nicht. Er saß vornübergebeugt, die Hände auf den Knien, und starrte in einen
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