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Ein allzu braves Maedchen

Ein allzu braves Maedchen

Titel: Ein allzu braves Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sawatzki
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an, du möchtest doch Tierärztin werden, da ist es wichtig, früh Kontakt zu Tieren zu haben.‹ Als ich mich sträubte, hat er ihn mir ganz vorsichtig in die Hand gelegt und mir einen Kuss gegeben, als ich langsam die Scheu vor dem Frosch verlor. Er war immer so lieb zu mir. Er fehlt mir. Dieses Schicksal hat er nicht verdient.«
    »Sie meinen den Autounfall?«
    Aber die junge Frau antwortete nicht, sondern sah gedankenverloren in die Ferne. In ihren Augen glänzten Tränen.
    Für heute war die Sitzung beendet.

DONNERSTAG
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Die Obduktion ergab Tod durch Hirnblutung infolge schwerer Schädelfraktur, außerdem hatte das Opfer innere Blutungen im oberen Bauchbereich erlitten.
    Fingerabdrücke, die nicht von dem Opfer stammten, waren an nahezu allen Türklinken des Hauses sichergestellt worden, die Blutspuren in Schlafzimmer, Flur und Bad stammten ausschließlich von Wilfried Ott selbst.
    Anscheinend hatte er den Mörder freiwillig ins Haus gelassen, denn Einbruchspuren wurden nicht gefunden. Sicher hätten die Wachhunde auch einer fremden Person den Zutritt aufs Grundstück verwehrt.
    Zeugen für die Tat gab es nicht.
    Die Putzfrau, die einmal pro Woche kam, gab zu Protokoll, dass ihrer Meinung nach nichts aus dem Haus entwendet worden war. Über den Charakter des Ermordeten sagte sie aus, er sei wortkarg gewesen, auf Pünktlichkeit bedacht und habe immer korrekt bezahlt. Trinkgeld habe es allerdings nie gegeben, obwohl sie ihre Arbeit immer gut gemacht habe. Seine beiden Schäferhunde habe er über alles geliebt. Da sie keine Fremden im Haus duldeten, habe er sie immer eingesperrt, wenn sie putzte. Gäste habe sie nie gesehen, er sei ein Eigenbrötler gewesen. Seine Frau sei wohl schon vor Jahren gestorben, da habe sie aber noch nicht für ihn gearbeitet.
    Gern sei sie nicht gekommen, er sei abweisend und herrisch gewesen, aber in ihrem Alter könne man sich die Arbeit nun mal nicht mehr aussuchen.
    Andere Personen, die eine Aussage hätten machen können, fanden sich nicht.

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Nach dem morgendlichen Duschen wurde sie wieder in ihr Zimmer gebracht. Sie stieg auf den Stuhl, um nach draußen blicken zu können. In der Nacht hatte es gefroren. Die Sonne schien, und am unteren Rand der Scheibe hatten sich Eisblumen gebildet. Die Konturen der Mauervorsprünge und Dachgiebel des gegenüberliegenden Gebäudes sahen aus, als wären sie vor Kurzem geschliffen worden. Das musste an der kalten, klaren Luft liegen. Im hellen Licht schloss sie die Augen, dann blinzelte sie, legte den Kopf in den Nacken und blickte in das satte Blau des Himmels.
    Unwillkürlich dachte sie an die Augen ihres Vaters. An seinen Blick, wenn er sie beobachtete. Sein feines Lächeln, wenn ihm etwas missfiel. An den Schatten, der dann über sein Gesicht huschte. Unergründlich.
    Sie erinnerte sich an seinen Geruch, wenn sie nah bei ihm gewesen war, und eine Woge von Sehnsucht lief durch ihren Körper.
    Seine Hände, seine flinken Finger, wenn er auf der Schreibmaschine schrieb. Der konzentrierte, unzugängliche Ausdruck in seinem Gesicht, wenn er über etwas nachdachte. Die straffe Körperhaltung und das leise Trommeln seiner Fingerspitzen auf der Sessellehne, wenn er grübelte.
    Wenn er arbeitete, durfte er nicht gestört werden, aber in der übrigen Zeit war er immer in ihrer Nähe. Sie war nie allein gewesen.
    Dann sah sie ihre Mutter vor sich. Ihr Lachen, ihre grünen Augen, ihre schönen langen Beine, die sie als Kind auch so gern haben wollte. Ihre zarten Hände, wenn sie sie berührte. Ihre warmen Küsse und der sanfte Klang ihrer Stimme. Ihre Hilflosigkeit, wenn etwas misslang, ihr Lachen, wenn sie glücklich war.
    Manchmal war sie zur Mutter ins Bett geschlüpft und hatte sich an ihren duftenden Leib gedrückt. Dem Rhythmus ihres Atems und dem zaghaften Zwitschern der erwachenden Vögel im Garten gelauscht. Da war sie glücklich gewesen.
    Ihre Gedanken sprangen von einer Erinnerung zur nächsten. Sie musste plötzlich an die Hochzeit ihrer Eltern denken. An das Hochzeitskleid der Mutter. Die Jacke über und über bedeckt mit kleinen glitzernden Strasssteinchen. Wo war sie selbst gewesen, als die Eltern geheiratet hatten? Sie war acht Jahre alt. Dann fiel es ihr wieder ein. Sie war vor Aufregung krank geworden, und der Vater hatte es vernünftiger gefunden, sie in der Obhut einer Bekannten zu lassen. Er war immer besorgt um sie gewesen. Aber verstanden hatte sie die Entscheidung ihrer Eltern nie. Sie von der Hochzeit auszuschließen.
    Sie

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