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Ein allzu braves Maedchen

Ein allzu braves Maedchen

Titel: Ein allzu braves Maedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Sawatzki
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schloss die Augen und schüttelte die Gedanken ab. Das hatte sie sich im Lauf ihres Lebens angewöhnt. Nicht zurückblicken, nur nach vorn. Dann konnte ihr nichts passieren.

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3
Sie hatte sich als Kind mit Tieren umgeben, sie konnte nie genug Tiere um sich haben. Das erzählte sie der Psychiaterin, als sie am Nachmittag beisammensaßen.
    »Im Coop unten im Städtchen gab es eine Kleintierabteilung. Da trieb ich mich manchmal rum, wenn mir langweilig war. Ich fand die weißen Mäuse so niedlich. Die kosteten damals eine Mark. Die konnte ich natürlich nicht einfach so klauen, die waren in einem Terrarium.«
    »Sie haben gestohlen damals?«
    »Jedes Kind klaut doch manchmal.«
    »Das kommt darauf an.«
    »Worauf?«
    »Hat Ihnen damals etwas gefehlt? Fühlten Sie sich manchmal allein oder unverstanden?«
    »Wie kommen Sie denn darauf? Ich fand’s einfach spannend.«
    »Und womit haben Sie die Tiere bezahlt, wenn Sie sie nicht stehlen konnten?«
    »Ich habe nicht gestohlen, ich habe geklaut, das ist was anderes.«
    Die junge Frau wirkte gereizt. Irgendetwas schien sie zu belasten.
    »Ich klaute meiner Mutter Geld aus dem Portemonnaie. Und dann hab ich zwei Mäuse gekauft. Eine allein wäre einsam gewesen. Ich hab sie in meiner Schreibtischschublade versteckt.«
    »Wieso?«
    »Was, wieso?«
    »Ich meine, wieso haben Sie sie versteckt? Ihre Eltern liebten Tiere doch auch.«
    »Ja, aber keine Mäuse. Mäuse waren in der Wohnung verboten.«
    »Lebten Sie nicht in einem Haus?«
    »Ja, aber da ging es auch nicht. Jedenfalls wurde eine von den Mäusen schwanger, und ich wusste nicht, was ich machen sollte, als es so weit war. Die Mäuse hießen Alfred und Trine und waren total süß. Auch während der Geburt ließ ich Alfred bei Trine in der Schublade, und ich dachte, er könnte vielleicht mit seiner Anwesenheit bewirken, dass Trine noch mehr Babys bekam, als sie ursprünglich wollte. Ich dachte, das geht dann alles auf einmal. Ich war ja noch klein.«
    »Wieso haben Sie Ihre Mutter nicht gefragt, was bei einer Geburt passiert?«
    »Weiß nicht. Manchmal war sie ja auch unterwegs. Jedenfalls deutete ich das Fiepsen, das ich die ganze Nacht über von meinem Bett aus hörte, als Geburtsschreie. Am nächsten Morgen machte ich die Schublade auf. Es war totenstill. Und dann bekam ich den totalen Schock. Alles war voller Blut, und überall lagen angebissene, tote Mäusebabys rum. Winzig klein und nackt, die Augen noch geschlossen. Die Eltern lebten, man sah ihnen gar nichts an. Kein Blut am Maul oder komische Augen. Ich hab sie dann in den Garten gesetzt. Ich war ganz verwirrt, außerdem mochte ich sie von dem Moment an nicht mehr. Die Beerdigung der Mäusejungen ging ziemlich schnell, war ja nicht viel zu verbuddeln. Später hatte ich dann noch einen Hamster, den ich aber wieder zurückbringen musste.«
    »Wieso mussten Sie ihn zurückbringen?«
    »Weil meine Mutter ihn im Zimmer entdeckte. Und dann hatte ich mal eine Schildkröte. Die ertrank, weil ich ihr das Schwimmen beibringen wollte. Ich dachte immer, die könnten schwimmen, und wollte sie in einem Eimer üben lassen, weil sie noch ziemlich jung und unerfahren war. Am Abend saß sie dann leblos am Grund des Eimers.
    Ich hatte eigentlich immer Pech mit meinen Tieren.«
    »Außer mit Loretto.«
    »Mit wem?«
    »Dem Pony.«
    »Ach so. Ja.« Die junge Frau sah Dr. Minkowa in die Augen. Sie verstummte und sprach in dieser Sitzung kein Wort mehr.

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4
Das Licht wurde um einundzwanzig Uhr gelöscht, danach gab es nur noch eine kleine, grüne Notleuchte neben der Tür.
    Sie hasste die Dunkelheit.
    Gegen Mitternacht hörte sie Schritte. Zuerst knarrte eine Tür am Ende des Gangs. Dann kam jemand langsam näher. Sie wartete darauf, dass irgendwann die Türklinke nach unten gedrückt würde, aber es geschah nichts. Sie kauerte sich wie ein Kind in die hinterste Ecke ihres Bettes und kroch unter die Decke. Nur ihre Augen blickten über den Deckenrand hinweg, damit sie die Türklinke im Blick behalten konnte. So wachte sie bis in die frühen Morgenstunden. Unfähig, sich zu rühren, vollkommen erstarrt, als sei sie in eine Falle getappt.

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5
Irgendetwas hat sie geweckt. Ein Geräusch. Sie liegt da, starrt ins Dunkel und hält die Luft an, um besser hören zu können. Da ist es wieder. Es kommt aus dem Zimmer nebenan. Wie das Kreischen von Kleiderbügeln, wenn man sie auf der Metallstange hin- und herschiebt. Dann Stille. Sie spürt, wie sich Schweiß auf ihrer Stirn bildet, auf

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