Ein bretonisches Erbe
etwas gewellt und hatten ein paar grünbraune Ränder und einige Stockflecken, aber die Schrift war noch gut lesbar.
Als Yuna es aus seiner wasserdichten Umhüllung nahm, fielen zwei Fotos heraus. Außerordentlich gespannt hob sie die Bilder auf.
Das eine zeigte ein Schiff, an dessen Bug der Name Marie van Veen stand, das andere einen Mann in Kapitänsuniform mit einer Frau und einem Baby.
Sie schluckte. Ein Schiff!, dachte sie erschüttert, Marie war keine Frau, sondern ein Schiff! Alle ihre Spekulationen um die geheimnisvolle Fremde waren mit einem Schlag Makulatur. Aber ehe sie noch über die Bedeutung dieser Erkenntis genauer nachdenken konnte, zog das andere Foto ihren Blick wie magisch an.
Fast wäre es ihr aus den bebenden Fingern gefallen, denn der Mann auf dem Foto glich haargenau ihrem Vater in jungen Jahren, so wie er auf dem Foto zu sehen war, welches auf dem Schreibtisch ihres Großvaters stand.
Aber das konnte doch nicht sein!
Yuna griff sich verwirrt und schwer atmend an den Hals, denn sie hatte das Gefühl, als würde ihr die Luft abgeschnürt. Unwillkürlich tastete sie nach dem Medaillon. Es war warm, wieder einmal wärmer als ihr Körper und als sie es berührte, verspürte sie einen leichten elektrischen Schlag. Da war sie wieder, diese geheimnisvolle Energie, die es von Anfang an abgestrahlt hatte, die aber offenbar nur sie gespürt hatte. Und Yuna fühlte, dass sie plötzlich ganz nahe daran war, sein Geheimnis zu enthüllen.
Wie unter einem Zwang musste sie sich das Foto noch einmal ansehen.
Julien hatte es ihr aus den Fingern gewunden und betrachtete es selber gerade. Auch ihm fiel die Ähnlichkeit des Mannes mit Yunas Vater auf.
„Der Tote scheint übrigens der Kapitän dieses Schiffes, der Marie van Veen, gewesen zu sein.“ Das lag den Umständen entsprechend nahe.
Yuna zog Julien das Foto aus den Händen und fand sofort, wonach sie suchte.
Erregt deutete sie auf die junge Frau mit dem Baby.
„Siehst du, was sie am Hals trägt, Julien?“
Er sah erst das Foto an dann Yuna.
„Sie trägt das gleiche Medaillon wie du“, sagte er schließlich völlig perplex.
„Nein“, sie schüttelte den Kopf und ihr helles Haar flog im Wind. „Es ist dasselbe. Ich trage ihr Medaillon. Sie hat es verloren, als sie mit dem Schiff ihres Mannes unterging. Ich habe es tatsächlich nach so langer Zeit am Strand gefunden.“
Einen Moment dachte sie an die merkwürdigen Dinge, die sich seitdem ereignet hatten und plötzlich ergaben sie alle einen Sinn. Sogar das Babyweinen, das sie nachts über dem Meer gehört hatte.
„Auch ihr Baby muss ertrunken sein“, sagte sie traurig.
„So ein kleines süßes Kind, es war wohl kaum mehr als drei Monate alt.“
„Etwa zwölf Wochen“, sagte Julien zu ihrer Verblüffung.
Er hatte inzwischen in dem Buch geblättert und festgestellt, dass es sich um das Logbuch der Marie van Veen handelte.
„Hier liegt eine Passagierliste drin und da ist auch das Baby eingetragen.“ Er hielt ihr die Liste hin.
„Schau, da steht es, Simon van Leyen, geboren am 13. April 1943 in Amsterdam. Es war das Kind des Kapitäns Vincent van Leyen.“
„1943!?“
Nun fiel Yuna die schlichte Tafel mit dem Namen Marie van Veen auf dem Kirchhof von St. Laurent wieder ein und ihr war schlagartig klar, dass der 6.Juli 1943 nicht der Todestag einer Frau, sondern ganz offensichtlich der Tag des Untergangs dieses Schiffes gewesen war. Sie wunderte sich, dass Julien die Ungeheuerlichkeit ihrer Entdeckung scheinbar noch gar nicht erfasst hatte.
Als sie nun nach dem Logbuch griff, war sie sich nämlich nahezu hundertprozentig sicher, dass diese Marie van Veen das holländische Schiff gewesen sein musste, welches durch die falschen Leuchtfeuer der Résistance in der Sturmnacht vom 5. auf den 6.Juli 1943 in der Bucht untergegangen war.
Das Logbuch war in Englisch geschrieben und bestätigte Yunas Vermutung. Der Kapitän hatte sich offenbar schwer verletzt auf die Insel gerettet, von der es aber für ihn kein Entrinnen mehr gab.
Sie suchte nach den letzten Eintragungen, sie waren mit hastigen Buchstaben auf das Papier geworfen und einige dunkle Flecken dazwischen waren offenbar eingetrocknetes Blut.
Julien schaute ihr nun über die Schulter und las ebenfalls mit zunehmender Erregung die Eintragung.
Beide konnten kaum glauben, was in dem Logbuch stand.
Wir müssen unseren Kurs ändern. Ein deutscher Kreuzer kommt uns gefährlich nahe… wir drehen zur Küste… Sturm kommt auf…
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