Ein bretonisches Erbe
reichlich einschüchternd, wenn nicht gar bedrohlich auf sie wirkten.
„Dein Großvater hat seine rechtlichen Angelegenheiten und insbesondere auch seinen Nachlass bei einem Anwalt in Renne geregelt“, sagte Jürgen Lindberg und blätterte in einer schmalen Akte. „Er hat auch eine dich betreffende Verfügung getroffen.“
Yuna hatte ihren Vater verwundert angesehen. Er war groß gewachsen und machte echt was her. Ein Anwalt mit solcher Statur, verunsicherte schon automatisch jeden Prozessgegner. Er hatte zudem gerade, klare Gesichtszüge und erstaunlich blaue Augen unter dem immer noch dichten Haar, das bis vor kurzem noch hellblond gewesen, nun aber überwiegend von einem schönen Weiß war. Feiner in der Struktur, aber immer noch beeindruckend dicht für einen fast 70jährigen.
Ihr Vater fühlte ihren Blick und räusperte sich. Es schien ihm unangenehm zu seien, von seiner Tochter so angestarrt zu werden.
„Er hat dir sein Haus in der Bretagne vermacht.“
Yuna hatte mit überhaupt nichts gerechnet und damit, Erbin des geliebten bretonischen Hauses ihres Großvaters zu werden, am allerwenigsten. So traf sie die Mitteilung ihres Vaters völlig unerwartet und mit einer seltsamen Wucht, die einerseits Freude, aber auch viele verwirrte Fragen bei ihr auslöste. Sie griff daher nur sehr zögernd nach dem dicken Umschlag, den er ihr hinhielt.
Er kam aus Renne und trug den Absender eines Notars aus der Rue de Coubertin. Der Brief war bereits geöffnet, dennoch konnte sie nicht vermeiden, dass ihre Hände ein leichter Tremor befiel, als sie die Papiere eher zögerlich herauszog. Sie starrte auf die sehr offiziell aussehenden Dokumente und obwohl sie gut Französisch sprach, verstand sie nur wenig. Was aber wohl hauptsächlich daran lag, dass sie nach den Worten ihres Vaters viel zu aufgeregt war, um sich auf den komplizierten juristischen Text konzentrieren zu können.
Völlig überrumpelt stammelte sie fassungslos:
„Du… du… meinst wirklich, ich habe sein Haus in Frankreich geerbt?
An Triskell ?“
Ihr Vater hatte gelächelt und war zum Kühlfach, welches in der Regalwand hinter seinem Schreibtisch eingebaut war, hinüber gegangen.
„Möchtest du einen Saft oder ein Wasser?“
„Wasser, bitte“, sagte sie mit nahezu tonloser Stimme und konnte den Blick nicht von den Papieren wenden, die noch immer leicht in ihren bebenden Händen zitterten.
Ganz plötzlich verschwammen sie nun vor ihren Augen und sie sah vor sich einen unendlichen weißen Strand und ein smaragdblaues Meer und zwischen violettem Heidekraut und gelbem Ginster ein kleines, aus rotem Granit gebautes Haus, um welches die Möwen kreisten. Die Küste der Bretagne, wo sie die schönsten Tage ihrer Kindheit verbracht hatte. In diesem Haus, das wie ein Schwalbennest an den schroffen Klippen über dem Meer klebte. Hingetupft zwischen dem Blau des Wassers und dem Blau des Himmels, überschattet nur von weißen Wolken, wenn sie gelegentlich rasch vor der Sonne vorbeizogen.
„Yuna, träumst du?“
Ihr Vater stellte ein Glas und die Wasserflasche vor sie auf den Tisch und wedelte mit der Hand anschließend vor Ihren Augen herum. „Hallo,Tochter??!!“
Sie schreckte auf.
„Aber ich habe gedacht, Opa hätte An Triskell verkauft, als er mit Juliette nach Nizza gezogen ist!“ Sie erinnerte sich, wie ihr Großvater, das Triskell in den rosa Granit des Türsturzes über dem Eingangsportal graviert hatte. Das alte keltische Symbol für die Entstehung und immer währende Bewegung des Universums… mit der Kraft der drei Hemisphären Himmel, Wasser und Erde.
Jürgen Lindberg goss sich ebenfalls ein Glas Wasser ein und begann erneut in den Papieren zu blättern.
„Der Meinung war ich auch. Das Haus wurde ja seitdem auch nicht mehr genutzt. Weder von ihm, noch von der Familie. Aber was den Verkauf angeht, haben wir uns offenbar geirrt. Seltsam, dass er nie mehr darüber gesprochen hat, auch nicht, als er die neue Galerie in Düsseldorf eröffnete. Wie auch immer, hier steht jedenfalls, dass er in seinem Testament verfügt hat, dass du An Triskell erben sollst.“
Yuna hatte es nur schwer begreifen können und jetzt, wo sie auf dem Weg war, den Letzten Willen ihres Großvaters zu vollziehen, erfüllte es sie immer noch mit einer gewissen Beklemmung, ein solches Erbe anzutreten und nun in einem fremden Land ein Haus zu besitzen.
Das war doch sicherlich mit einer Menge Bürokratie verbunden, sehr kompliziert und teuer… allein schon die
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