Ein Clochard mit schlechten Karten
hier
jahrzehntelang geduldet wurden. Sie sind zumeist Seineabwärts weggedümpelt und haben die Stadtufer für Umschlagplätze freigeben müssen, an
denen Baumaterial und Abfall gelöscht wird, dort wo nicht längst die
Auto-Schnellstraßen Platz gegriffen haben. Lediglich ein paar schwimmende
Restaurants haben sich am Ufer festgesetzt.
Welch ein Glück, daß man wenigstens
den Eiffelturm nicht hat wegtragen können (und wollen)! Obwohl selbst das schon
ins Auge gefaßt worden war, kaum war das Wahrzeichen der Weltausstellung von
1889 gegen heftigen Widerstand gebaut. ,Das teuflische
Unternehmen eines Kupferschmieds im Größenwahn’ hatte der Schriftsteller Guy de
Maupassant damals gegen den 320 Meter hohen und 7000 schweren Tonnen Turm
gewettert. Heute steht der Eiffelturm längst unter Denkmalschutz und das
Eisengerippe, aus 18.000 Gerüstteilen und zweieinhalb Millionen Nieten
zusammengesetzt, zählt traditionell zum Pflichtprogramm aller Paris-Besucher.
Bei Burmas Recherchen spielt
der Eiffelturm keine Rolle. Das mag und muß wohl daran liegen, daß er nicht im
15., sondern im benachbarten 7. Arrondissement beheimatet ist. Einer der
wenigen Stadtbezirke übrigens, die Léo Malet auf der Suche nach den ,neuen Geheimnissen von Paris“ ausgelassen hat. Das
siebte, hat er mir einmal verraten, sei ihm zu langweilig. So bleibt uns das
noble Wohnviertel um die Ecole militaire und den Invalidendom verschlossen.
Nur einmal streift Nestor Burma
das ebenso vornehme wie teure 7. Arrondissement, als er an der Place de Breteuil die herrschaftliche Wohnung von Madame und
Monsieur Lauredant aufsucht. „... fand ich das
prachtvolle Haus, so prachtvoll wie beinahe alle Häuser in dieser Gegend .“
Weniger prächtig sieht es im
Kern des 15. Arrondissements aus. Es ist das bevölkerungsreichste Stadtviertel
von Paris. Hier wohnen mehr Menschen als zum Beispiel in der Innenstadt von
Bordeaux. Aber es ist kein Viertel, das der Tourist auf dem Stadtplan mit
kräftigem Strich einkreist. Sogenannte Sehenswürdigkeiten gibt es kaum.
Allerdings, ein Spötter hat einmal gesagt: irgendwann muß fast jeder Pariser
hier vorbeischauen. Und wenn er ein Ochse ist — auf jeden Fall“.
Das galt für die Zeit, als in
der Rue des Morillons noch der Schlachthof stand
(gleich neben dem städtischen Fundbüro, auf das die erstgenannte Anspielung
zielt). Heute ist dort ein Park angelegt, an dessen Eingang freilich noch immer
zwei kräftige Stiere auf hohem Sockel thronen. Mit der Rue de Vaugirard durchschneidet die längste Straße von Paris das
Viertel. Über rund viereinhalb Kilometer zieht sie sich vom Boulevard St.
Michel im Quartier Latin bis an den Stadtrand, die
Porte de Versailles. Wer die Rue de Vaugirard entlangspaziert, lernt das dem Touristen sonst oft verborgene
typische Paris kennen. Das Paris der Kleinhändler, der außergewöhnlichen
Geschäfte und der originellen Restaurants. Das Maison d’Escargot zum Beispiel, das Schneckenhaus, in der Rue Fondary , in das sich Schnecken-Liebhaber zu
ausgiebigem Mahl gerne zurückziehen.
Ein paar Schritte weiter nur
führt ein gewisser Claude Lovezzi eines der
seltsamsten Lokale von ganz Paris. Der temperamentvolle Korse hat sich zum
Prinzip gemacht, den Gast für die gebotenen Speisen das bezahlen zu lassen, was
er für richtig hält. Natürlich gibt es immer wieder mal Schmarotzer, die sich
klammheimlich verdrücken, ohne mehr als ein paar wenige Francs auf den Tisch zu
legen, aber freizügige Spender gleichen den Fehlbetrag immer wieder aus. Chacun à son goût .
Es macht Spaß, Nestor Burma in
diesem Viertel hinterherzulaufen. Vergangenheit ist überall spürbar, ohne daß
Moder in die Nase zieht. Hier lebt das 15. noch.
An der Ecke Rue de la Convention /Rue de Vaugirard beispielsweise, wo Nestor, der alte Kneipengänger ,
das Bistro von Rivalet aufsucht und an der der
Comptoir de Crédit liegt, der Tatort des Bankraubs.
Natürlich treibt mich ein
Abstecher auch in die Rue de la Saïda . Startpunkt von
Burmas Abenteuer. Die Wohnung von Demessy läßt sich
leicht orten.
„ Von der Straße konnte man
durch einen Gitterzaun auf eine Art Vorhof sehen. Früher mußte das wohl mal ein
Rasen gewesen sein .“ So
trist, wie Burma den Häuserblock schildert, kommt er mir gar nicht vor.
Rue de la Saïda — wieder ein arabischer Name, was natürlich in Malets Dramaturgie paßt. In Sichtweite der Rue de la Saïda liegt die Ruche , der Bienenkorb. Ein
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