Ein delikater Liebesbrief
gesellschaftliche Stellung gelegt. Jetzt aber weiß ich, dass Stolz etwas Leeres und Wertloses ist.«
Er muss ja von Schuldgefühlen schier zerfressen sein, dachte Esme. Deshalb glaubt er, mich zu lieben. Er hat nach Miles’ Tod den Verstand verloren.
Sie räusperte sich. »Es gibt da etwas, worüber wir sprechen müssen.«
Sie schaukelte auf seinem Schoß, bis ihre Füße den Boden berührten, dann stand sie auf. Sebastian schien sie nur widerwillig loszulassen – statt dankbar zu sein, dass ihr Gewicht nicht mehr auf seinen Knien lastete!
Als er rasch und elegant aufsprang, wären Esme fast die Tränen gekommen. Selbst in der schäbigen Kleidung eines Gärtners war Sebastians Haltung eleganter als die der meisten Männer.
Sie setzte sich ihm gegenüber auf einen schmiedeeisernen Stuhl und sah angestrengt über seine Schulter hinweg.
»Der Arzt hat mir gesagt, dass Miles jederzeit hätte sterben können«, begann sie ohne Umschweife. »Sicherlich machst du dir Vorwürfe wegen seines Ablebens, und ich hätte dir ja geschrieben, wusste aber deine Adresse nicht.«
»Vielen Dank, dass du es mir gesagt hast.« Hörte sie da Erleichterung heraus? Vielleicht hatte er schon von anderer Seite vernommen, dass Miles unter einem schwachen Herzen gelitten hatte.
»Es war falsch von mir, dir die Schuld am Tod meines Mannes zu geben«, fuhr Esme in betont leichtem Ton fort.
Im Geiste hörte sie aber immer noch die bitteren Worte, die sie Sebastian bei ihrer letzten Begegnung an den Kopf geworfen hatte: Was bringt dich auf die Idee, ich würde dich heiraten? Den Mann, der meinen Ehemann getötet hat? Selbst wenn du nicht so eine langweilige Jungfrau wärst, würde ich dich nicht heiraten!
»Ich hätte dir nicht vorwerfen dürfen, dass du meinen Mann umgebracht hast«, wiederholte sie. »Miles hätte jederzeit sterben können. Offensichtlich hatte er in jener Woche bereits zwei leichtere Anfälle erlitten.«
Sebastian schwieg. Endlich wagte sie es, die Augen zu heben, doch seine Miene war undurchdringlich. Er starrte lediglich auf seine Hände.
Dann hob er den Kopf und sah sie an. Der Schrecken durchfuhr sie von Kopf bis Fuß. »Aber ich hätte ihn getötet«, sagte er leise. »Ich hätte ihn auf der Stelle getötet, wenn ich dadurch deine Hand gewonnen hätte.«
Die Worte hingen in der eiskalten Luft zwischen ihnen.
Esme war wie vor den Kopf gestoßen. »Aber du warst doch mit Gina verlobt«, flüsterte sie.
»Ich hätte ihn töten können für seine Unverschämtheit, sich vor deinen Augen mit Lady Childe zu vergnügen.«
»Aber wir waren doch gar nicht … er hat doch nicht …«
»Meinst du, das wäre niemandem aufgefallen? Ich weiß, dass es dir wehgetan hat, Esme.« Seine Stimme war gefährlich leise geworden. »Ich habe dich zusammenzucken sehen, wenn er Lady Childe vor aller Augen auf die Wange küsste. Ich habe gesehen, wie du die beiden gemieden hast, sah den Schmerz in deinen Augen, wenn er mit ihr zusammen war.«
»Wir hatten eine … beiderseitige Vereinbarung, das kann ich dir versichern«, brachte Esme stammelnd heraus. »Wenn es überhaupt einen Leidtragenden gab, dann Miles. Denn ich habe ihn verlassen.«
Es schien, als hätte er gar nicht zugehört. »Rawlings hat dich dennoch ständig an seinen Tisch gerufen, an dem er mit seiner Mätresse aß. Er behandelte dich, als ob du keine Gefühle hättest.«
Bei der Erinnerung daran musste Esme schlucken. »Es hat nur wehgetan, weil Lady Childe Kinder hat – und ich nicht«, flüsterte sie. »Ich war bloß eine dumme, neidische …«
»Das ist mir gleich. Ich hätte ihn töten können, weil er dich so verletzte. Weil er dich nicht respektierte, wie es dir zustand.«
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Dann lächelte Esme plötzlich, ein kleines schiefes Lächeln. »Ich bin froh, dass du ihn nicht umgebracht hast.«
Sebastian nickte. »Ich auch. Aber ich kann nicht vorgeben, ein absolut reines Gewissen zu haben.«
»Darby hat mir erzählt, dass Miles es wusste. Er wusste, dass er den nächsten Winter vermutlich nicht mehr erleben würde.« Esmes Augen füllten sich mit Tränen. Ihr Gesicht verzog sich schmerzlich. »Aber er hat mir nie etwas gesagt, Sebastian. Er hat es mir nicht gesagt!«
»Liebste, nicht … nicht doch.« Er zog sie an sich und sie schmiegte sich wieder an seine Brust und weinte, als ob ihr das Herz brechen wollte. Verzweifelt suchte sie in ihrer Pelisse nach einem Taschentuch. Sebastian drückte ihr seines in die Hand,
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