Ein delikater Liebesbrief
brauchte Jem oder den starken Arm eines anderen Mannes dazu.
Sie beugte sich also vor und legte ihre Hände vorsichtig auf seine Schultern. »Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Sir.«
Darbys Gesicht war nun dem ihren ganz nahe. Er schloss seine großen Hände um ihre Taille und Henrietta erbebte. Sie fühlte sich wie berauscht von den winzigen Fältchen, die sich um seine Augen bildeten, wenn er lächelte.
»Was bezwecken Sie damit?«, platzte sie unwillkürlich heraus. In dem Moment, als die Frage ihren Mund verlassen hatte, hätte sie sie am liebsten ungesagt gemacht, doch die lebenslange Gewohnheit, alles auszusprechen, was ihr in den Sinn kam, hatte sie in diese Falle tappen lassen.
Darby ließ sie betont langsam auf den Boden herab, während seine Hände in geradezu dreister Weise ihre Taille hielten. Selbst durch ihre schwere Pelisse konnte Henrietta seine Finger spüren.
»Womit?«, fragte er.
»Mit der Art, wie Sie mich ansehen.«
»Ich vermute«, seine Stimme war tief und heiser, »dass ich Sie auf Ihre Fähigkeit zu Leibesübungen prüfe, Lady Henrietta.«
»Oh«, stieß Henrietta hervor. Seine unverschämte Bemerkung überschritt ganz klar die Grenzen der Konvention. Überdies hatte sie nun die Art seines Blickes erkannt.
Er schaute sie hungrig an.
Als stünde er kurz vor dem Hungertod.
Sie sah seinen Kopf auf sich zukommen und hätte eigentlich ausweichen sollen. Doch sie blieb einfach stehen, still wie ein Stein, und ließ zum zweiten Male zu, dass seine Lippen ihren Mund berührten.
Dieses Mal fiel es noch schwerer, einen klaren Kopf zu behalten. Zum Beispiel waren da seine Hände, die immer noch auf ihrer Taille lagen. Sie verharrten an ihrer Rundung, als wäre Henrietta sein Eigentum.
Und sein Kuss war weit weniger zart und respektvoll als im Salon von Lady Rawlings. Und dann seine Zunge ! Henrietta würde auf jeden Fall dagegen protestieren, sobald sie wieder klar denken konnte.
Darby seinerseits hielt sich nie mit Worten oder Gedanken auf, wenn ihn die Leidenschaft überkam, und litt daher nicht unter dergleichen Verwirrungen. Gott allein wusste, warum er diese Frau küssen wollte, die wie der Teufel über Landstraßen kutschierte und jeden unpassenden Kommentar äußerte, der ihr in den Kopf kam.
Doch jetzt und hier tat er es. Sein Drang, sie zu küssen, war beinahe unbezwingbar gewesen.
Henrietta war zart, verlegen und roch nach Wiesenblumen. Nach Unschuld. Er presste seinen Mund hart auf ihre weichen Lippen, als könnte er ihr so die Unschuld rauben und durch seinen Zynismus ersetzen.
Ihre Unterlippe war so weich und so lieblich geschwungen. Er leckte mit der Zunge darüber und Henrietta erzitterte. Also presste er sie noch fester an sich und leckte wieder über ihre Lippen. Dabei fühlte er ihre Brüste, die sich gegen seinen Brustkorb pressten.
Darby kam der Verdacht, dass Lady Henrietta Maclellan einen Körper besaß, der sehr wohl für Leibesübungen geeignet war. Von wegen, sie sei nicht sportlich!
Allerdings war sie eine beeindruckend schlechte Küsserin. Ihre Lippen waren zusammengepresst wie ein stählernes Tor. Darby leckte wieder mit der Zunge über ihre Lippen, er lockte sie – nein, er bettelte förmlich darum, dass sie ihren Mund öffnen möge. Er versuchte sie zu reizen. Zu liebkosen. Er versuchte, seine Lippen schräg auf ihren Mund zu pressen. Diese Art des Kusses hatte einstige Gefährtinnen in seinen Armen dahinschmelzen lassen.
Doch der Einzige, auf den seine Technik Wirkung zu haben schien, war er selbst. Sein Herz hämmerte wie wild und seine Lenden – nun, Henrietta würde schockiert sein, falls sie zufällig nach unten schaute.
»Henrietta«, sagte er mit einer Stimme, die zu seinem Bedauern nur ein heiseres Flüstern war.
»Ja, Mr Darby?«
Er machte die Augen auf. Anscheinend völlig ungerührt, schaute sie ihn munter an.
Nur die rosige Tönung ihrer Wangen ließ ihn ein wenig hoffen, zudem spürte er ein leises Zittern, das ihren Körper durchlief.
»Hat Ihnen unser zweiter Kuss gefallen?«
»Oh ja«, erklärte sie bereitwillig. »Auf jeden Fall, weil …«
Genau darauf hatte er gewartet. Simon Darby nutzte stets jede ruchlose Taktik, um zu bekommen, was er wollte.
Er senkte den Kopf, fing ihre Worte auf und trank die Unschuld aus ihrem Munde. Er vergaß Jem, der zwanzig Yards entfernt stand und Parsnip und Parsley am Zügel hielt, er vergaß, welch skandalöses Schauspiel Henrietta und er hier in aller Öffentlichkeit boten.
Darby
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