Ein delikater Liebesbrief
konnte das Bewusstsein verlieren und dabei den Rücken gerade halten.
Er neigte sich zu ihr. »Was soll ich jetzt Ihrer Meinung nach tun?«, fragte er mit gesenkter Stimme.
Sie schaute ihn nur an, offenbar mit Stummheit geschlagen.
»Gott ist mein Zeuge, ich habe diesen Brief nicht geschrieben.« Aus irgendeinem Grunde war es ihm wichtig, sie wissen zu lassen, dass er niemals mutwillig ihren Ruf zerstört hätte.
Henrietta nickte.
»Nun, dann müssen wir lediglich herausfinden, wer ihn wirklich geschrieben hat«, fuhr er mit einem seltsamen Gefühl der Dankbarkeit fort. Henrietta glaubte ihm offenbar vorbehaltlos. Es war nicht möglich, dass diese blauen Augen etwas verbargen. »Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen. Natürlich wird Ihre Stiefmutter ihre Forderung zurückziehen, sobald sie weiß, dass Sie und ich nichts dergleichen getan haben. Ich würde vorschlagen, dass wir uns in den Salon zurückziehen und die Angelegenheit in etwas privaterem Rahmen besprechen. Aber fällt Ihnen vielleicht jemand ein, der diesen Brief geschrieben haben könnte?«
Wieder nickte sie.
» Wer? «
»Ich«, flüsterte Henrietta.
30
Ein Geständnis unter vier Augen
»Sie haben sich selbst einen Liebesbrief geschrieben?«
»Ja«, gab sie zu. »Ich fühlte mich einsam.« Sie rang die Hände im Schoß. »Ich bin – aus offensichtlichen Gründen – nie in die Gesellschaft eingeführt worden. Deshalb habe ich auch nie Bekanntschaften geschlossen und wir wurden nie zu Hausgesellschaften oder Ähnlichem eingeladen. Und ich wollte doch nur einmal …«
»Einen Brief erhalten.«
»Nein. Einen Liebesbrief. Ich habe geglaubt, ich würde nie im Leben einen solchen Brief erhalten, deshalb habe ich mir selbst einen geschrieben.«
Dafür konnte Darby sie schwerlich tadeln. Es war furchtbar traurig, aber wohl kaum verwerflich.
»Aber ich habe diesen Brief doch nur für mich geschrieben«, versicherte sie ihm. »Wie sollte ich ahnen, dass er in falsche Hände gerät? Ich habe doch nur so getan, als ob!«
»Dieses Versehen runiert nun aber mein Leben«, bemerkte Darby ernst.
Henrietta schluckte schwer. »Aber Ihr Leben ist doch nicht ruiniert «, entgegnete sie. »Finden Sie das nicht ein wenig übertrieben? Sicher, Sie werden eine Frau haben, aber die meisten Männer heiraten doch irgendwann in ihrem Leben.«
Er hob den Kopf und sah sie an. Das warme Braun seiner Augen war fast schwarz geworden. Etwas in Henriettas Hinterkopf registrierte diesen Farbwechsel und mahnte sie: Dies ist ein Warnzeichen.
» Ruiniert scheint mir ein zu harter Ausdruck zu sein«, beharrte sie.
»Da muss ich Ihnen widersprechen. Ich hatte gewiss die Absicht, irgendwann zu heiraten, doch diesen Zeitpunkt wollte ich selbst bestimmen.«
»Aber ist es denn so schlimm, jetzt anstatt später zu heiraten?« Flehentlich sah sie ihn an. Nie im Leben war ihr so elend zumute gewesen.
Darby stieß ein kurzes Lachen aus, das eher einem Bellen glich. »Ich wollte eine Frau heiraten …« Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Ich wollte eine Frau heiraten, mit der ich auch schlafen kann.«
Ihre Wangen erröteten.
»Verstehen Sie, was ich damit sagen will?«
Henrietta nickte.
»Was zum Teufel soll ich mit einer Frau anfangen, mit der ich nicht schlafen kann? Glauben Sie es oder glauben Sie es nicht, aber ich habe mich stets für einen Mann gehalten, der seiner Frau treu sein würde. Aber das ist unmöglich.«
»Es tut mir leid«, sagte Henrietta. »Ich habe den Brief geschrieben, bevor ich Bescheid wusste. Bevor ich über die Auswirkungen meines … Gebrechens auf diesen Aspekt der Ehe unterrichtet war.« Verzweifelt überlegte sie, wie sie die Rede auf den Schwamm bringen sollte, aber es war einfach nicht schicklich, ihn zu erwähnen. »Sie müssen eben außerhalb unserer Ehe Vergnügen finden. Das ist die einzig haltbare Lösung.«
Er lachte und es klang grob und humorlos. »Eine haltbare Lösung, ja? Sie wollen, dass ich mir eine Geliebte zulege?«
»Ich sehe nicht, welchen Unterschied das machen würde. Hätten wir auf dem üblichen Wege geheiratet, wäre es doch vermutlich auch nicht anders gekommen. Viele Männer …« Sie stockte. »Viele Männer haben eine Geliebte.«
»Sicher«, sagte er. »Ich hatte jedoch nicht vorgehabt, mich dieser Gruppe anzuschließen.«
Dieser Einwand erschien Henrietta eher unbedeutend. Vielleicht fürchtete Darby, seine Frau könnte ihm in aller Öffentlichkeit eine scheußliche Szene machen, so wie es Lady
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