Ein delikater Liebesbrief
erst aneinander gewöhnen.
Am fünften Nachmittag nach Esmes Dinner befand sich Henrietta wieder einmal in der Kinderstube. Sie saß auf einem Schemel, von Zinnsoldaten in Reih und Glied umgeben, und war damit beschäftigt, die Angriffe eines feindlichen Spähers abzuwehren, der immer wieder die Burgzinnen (ihre Röcke) zu überwinden versuchte, als Darby die Stube betrat.
Er trug einen einreihigen graugrünen Rock mit vergoldeten Knöpfen über hellbeigen engen Pantalons. Seine Seidenweste war dunkelgrün gestreift und in der Hand hielt er einen Spazierstock mit bernsteingelbem Kopf, der farblich auf die Hosen abgestimmt war.
Josie sprang auf, kreischte: »Simon!« und schoss quer durch die Kinderstube auf ihn zu.
Darby wirkte sehr erleichtert und dankbar, dass sie ungefähr einen Zollbreit vor seiner hellen Hose zum Stillstand kam.
»Ich bin dir sehr verbunden, Josie«, sagte er, indem er sich zu der Kleinen niederbeugte. »Ich weiß deine Voraussicht zu schätzen.«
Sie machte ein finsteres Gesicht und schien nicht zu wissen, was nun von ihr erwartet wurde. Mit einem Seufzer nahm Darby sie auf den Arm, wobei er sorgfältig jede Berührung mit seiner hellen Hose vermied. Josie schien seit letzter Woche gewachsen zu sein, wenn dies denn möglich war. Eines ihrer schlaksigen Beine baumelte herab und ihr spitzer Stiefel schlenkerte gefährlich nahe vor seinem Schritt.
Josie starrte ihn auf eine verwirrend durchdringende Art an. »Du bist mein Bruder, Simon«, verkündete sie.
»Dessen sind wir uns beide bewusst.« Darby schaute Henrietta an. Warum kam sie ihm nicht zu Hilfe? Wie war er nur auf die Idee gekommen, ein Kind auf den Arm zu nehmen? Er verabscheute Kinder. Und was tat er eigentlich in der Kinderstube?
»Ich bin ein armes, mutterloses Waisenk…«
»Auch das weiß ich«, fiel er ihr ins Wort.
Josies Unterlippe zitterte.
»Wozu brauchst du eine Mutter?«, fragte er. »Du hast doch einen Bruder.«
Josie runzelte die Stirn, während sie darüber nachdachte, ob sie dieses Argument gelten ließ. Man konnte ihr ansehen, dass dem nicht so war.
»Nun gut. Lady Henrietta wird deine Mutter. Wie klingt das für dich?«
Josie verdrehte den Kopf, um Henrietta anzuschauen, die immer noch reglos auf ihrem Schemel saß und einigermaßen verblüfft aussah. Darby fragte sich, warum sie so erstaunt war, denn die eigentliche Neuigkeit konnte sie doch wohl kaum überraschen.
»Lady Henny hat aber Wasser auf mich gegossen«, erinnerte ihn Josie. Dann näherte sie ihren Mund seinem Ohr und flüsterte: »Ich glaub auch nicht, dass Anabel sie besonders mag.«
Darby dachte an Anabels Neigung, vollkommen fremde Menschen zu küssen und Mama zu nennen. »Anabel wird sich an sie gewöhnen«, versicherte er Josie.
»Aber sie hat Wasser auf mich geschüttet, Simon. Weißt du nicht mehr?«
»Du hattest es auch verdient.«
»Warum machst du nicht Tante Esme zu meiner Mutter?«, fragte Josie in vernehmlichem Flüsterton. »Die Kinderfrau sagt, dass sie sowieso ein Kind bekommt. Dann hätten wir noch ein Baby in der Kinderstube. Eins, das nicht spuckt!« Sie blitzte Anabel drohend an.
Anabel torkelte bereits auf Darby zu. Sie sah zwar sauber aus, aber man konnte nie wissen. Sein Diener glaubte nicht, dass er Flecken von Erbrochenem von seinen Stiefeln entfernen könnte.
»Also«, sagte er hastig. »Ich muss wieder los.« Er stellte Josie auf den Boden. »Auf Wiedersehen, Kinder. Lady Henrietta, auf ein Wort, bitte?«
Henrietta folgte ihm widerwillig. Darby führte sie nach unten in die Stube, und während sie die Treppe hinunterstiegen, konnte sie nur daran denken, ob sie ihr Bein nachzog. Er hielt ihren Arm und schien ihren schlingernden Schritt gar nicht zu bemerken. Als sie das Wohnzimmer betraten, kam er ohne Umschweife zur Sache. »Ich habe die Sondererlaubnis bekommen. Wir können also heiraten, wann immer du willst.«
Doch Henrietta hatte bereits in dem Moment, als er die Kinderstube betrat, gewusst, dass eine Heirat nicht infrage kam.
Er war einfach zu schön. Er ähnelte einer griechischen Statue und sie war nichts weiter als ein unbedeutendes Mädchen vom Lande, das zudem hinkte. Allein seine markanten Wangenknochen waren zu viel für sie. Zu schön, zu prachtvoll, zu vollkommen. Weder die Andeutung eines Hinkens noch sonst eine Deformierung entstellte diesen perfekten Menschen. Darby brauchte eine Frau, die so fehlerlos war wie er selbst. Eine Frau, die ihm Kinder gebären konnte, welche die schlanke
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