Ein Engel fuer Charlie
über ihre Wange lief. Ja, es war vorbei. Die Tage mit Charlie und Meredith hatten in einem anderen Leben stattgefunden.
Meredith schloss ihr Engelbuch, stieg aus dem Bett und ging zum Fenster hinüber. Es war Sommer, aber nicht so heiß, dass man schon die Klimaanlage anstellen musste. Sie war froh, dass sie das Fenster noch öffnen konnte, denn sie liebte das Quaken der Frösche. Manchmal, wenn sie am Tag mit Daddy am Bach spazieren ging, sah sie die Frösche ins Wasser hüpfen. Sie waren nicht gern in der Nähe von Menschen. Aber in der Nacht konnte sie ihnen zuhören.
Engel waren Fröschen irgendwie ähnlich. Auch sie blieben nicht sehr lange in der Nähe von Menschen.
Daddy verbrachte jetzt viel mehr Zeit mit ihr, aber er war immer noch sehr traurig. Er lächelte, weil er nicht wollte, dass sie sein trauriges Gesicht sah, aber sie wusste, was er fühlte. Zuerst hatte er Mommy vermisst. Grandma vermisste Mommy auch, und sie meinte, dass es ganz normal wäre, wenn man eine Weile traurig ist, wenn ein Mensch, den man liebt, in den Himmel geht.
Und jetzt vermisste Daddy die Engelfrau. Meredith vermisste Starla ebenfalls.
Wie gern hätte sie es gehabt, wenn Daddy wieder so glücklich wie an Weihnachten wäre. Sie wünschte sich, sie hätte Starlas Telefonnummer, damit sie sie anrufen könnte, aber Daddy meinte, er würde die Nummer nicht wissen.
Im Mondlicht konnte sie Daddy sehen. Manchmal, wenn er dachte, sie würde schlafen, ging er nach draußen und hörte den Fröschen zu.
Über ihr funkelten die Sterne. Meredith machte die Augen ganz fest zu und wünschte sich von einem Stern, dass er ihr eine neue Mommy bringen und ihr Daddy nicht mehr traurig sein sollte.
Dann ging sie zurück ins Bett, nahm ihren Bunny in den Arm und strich über die Barbie, die Starla ihr geschenkt hatte. Die Puppe schlief neben ihr auf einem Kissen.
Engel können alles, dachte Meredith, bevor sie einschlief. Sie können mir auch eine neue Mommy bringen. Ja, das konnten sie, davon war sie fest überzeugt.
Charlie zog das Unkraut aus seinem Tomatenbeet, während die heiße Junisonne ihm auf den nackten Rücken brannte. Meredith war eine Woche lang bei der Familie von Sean, seinem Bruder, und er vermisste sie jeden Tag mehr.
Wenn seine Tochter nicht da war, hatte er Zeit zum Nachdenken. Zu viel Zeit, um die Entscheidungen, die er in seinem Leben getroffen hatte, in Frage zu stellen, zu viel Zeit, um sie zu bedauern.
Aber das Leben ging weiter. So war es nun einmal. So war es immer gewesen.
Das Leben passierte einfach, und er versuchte, so gut es ging zu reagieren.
Das war eine seiner großen Schwächen, dass er niemals die Kontrolle übernommen, sondern immer alles einfach hatte geschehen lassen.
Wie so oft blieben seine Gedanken schließlich bei Starla hängen. Er hatte Hunderte von Gründen, sie zu bewundern. Sie hatte sich nicht den Erwartungen ihres Vaters gebeugt, sondern hatte sich ein eigenes Leben aufgebaut. Sie war gegen den Strom geschwommen, hatte sich selbst gefunden und war deshalb nicht so resigniert und frustriert wie er.
Charlie hatte immer getan, was man von ihm erwartet hatte.
Er war zufrieden gewesen, mit dem Strom zu schwimmen. Selbst als seine Ehe mit Kendra nur noch auf dem Papier bestanden hatte, war er bei ihr geblieben, hatte für sie gesorgt und die Erziehung von Meredith übernommen.
Warum war er nie aus dem Boot gesprungen und hatte sich zu neuen Ufern gewagt? Er hatte zwar oft darüber nachgedacht, aber ihm war es immer wichtig gewesen, die Erwartungen seiner Adoptiveltern zu erfüllen. Schließlich hatte er ihnen viel zu verdanken.
Charlie drehte den Wasserhahn auf, nahm einen kräftigen Schluck aus dem Gartenschlauch, richtete den Strahl kurz auf seine Brust und legte dann den Schlauch in sein Tomatenbeet, damit es ordentlich gewässert wurde.
Er hatte immer geglaubt, dass er nicht zur Liebe fähig sei. Denn dass es so etwas wie Liebe gab, hatte er bei seinen Eltern und in den Ehen seiner Brüder gesehen.
Er war derjenige gewesen, der nie wahre Leidenschaft und tiefe, echte Gefühle für eine Frau empfinden konnte. Die Sonne brannte ihm unbarmherzig auf den Kopf und auf die Schultern, als ihm plötzlich eine Erkenntnis kam. Das, was er eben gedacht hatte, stimmte doch gar nicht. Es war nicht wahr.
Doch wenn er die Leidenschaft und die Liebe, die er unterdrückte, zuließ, musste er sich auch eingestehen, dass er seine Frau nie geliebt hatte. Und wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass
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