Ein Engel fuer Emily
wie möglich von hier verschwinden und zu Michael kommen konnte. Plötzlich stieß jemand gegen sie, und sie spürte einen Stich an der Hüfte.
»O mein Gott, war ich das?«, ertönte eine Frauenstimme. Aber Emily schwankte, und alles verschwamm vor ihren Augen. »Zu viel Champagner«, sagte ein Mann, dann spürte sie, wie starke Arme sie umfassten und wegbrachten. Sie versank in einen süßen Traum. Sie war Aschenputtel, und der schöne Prinz brachte sie auf sein Schloss.
Als Emily erwachte, befand sie sich nicht in einem prächtigen Schloss, sondern in einem Albtraum. Ihr Kopf tat höllisch weh, und als sie versuchte, die Hand an die Stirn zu legen, merkte sie, dass sie gefesselt war. Sie öffnete benommen die Augen. Offenbar befand sie sich in einem großen, schmutzigen Raum. Abfall war auf dem Boden verstreut, und pelzige Tierchen - Ratten? - huschten herum. Sie saß auf einem Stuhl, an dessen Beine ihre Füße gefesselt waren. In dem Raum stand außer dem Stuhl nur noch ein verbeulter alter Metallschreibtisch. Es gab keine Fenster, nur eine schwere Stahltür.
Offenbar hatte man sie in ein verlassenes Gebäude gebracht, und wenn kein Wunder geschah, würde kein Mensch sie hier finden.
Sie machte sich die schlimmsten Vorwürfe, als die Tür aufging und die drei Männer hereinkamen. Helles Tageslicht strömte durch die Tür, und Emily fragte sich, ob sie nur eine Nacht oder mehrere Tage betäubt gewesen war. Sie trug noch immer das rote Kleid, aber jetzt war es zerrissen und voller Flecken. Sie wollte sich lieber keine Gewissheit verschaffen, ob die Rubine noch da waren.
Die Männer standen mit dem Rücken zu ihr, als hätten sie ihre Anwesenheit noch gar nicht zur Kenntnis genommen.
Wenn sie schon sterben musste, dann wollte sie zumindest den Grund dafür erfahren. Sie wollte eine intelligente Frage stellen, aber sie brachte nur ein einziges Wort heraus. »Warum?«, krächzte sie.
David Graham drehte sich zu ihr um. »Sie wissen es wirklich nicht, oder?« Er hielt ihr die Rubine hin. Die großen Tropfen fingen das Licht der nackten Glühbirne, die an der Decke hing, ein und glühten wie Feuer.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, erwiderte sie mit matter Stimme.
»Soll ich es ihr sagen?«, fragte er die anderen.
»Können wir dich davon abhalten?« Statler bedachte Emily mit einem Blick, der ihr eisige Schauer über den Rücken jagte.
Charles grinste tückisch. »Er ist der Wolf, wie Sie es so charmant ausgedrückt haben.«
Emily blinzelte. Vielleicht war der kleine Scherz doch nicht so originell gewesen, wie sie gedacht hatte. In Filmen war so etwas witzig, aber im wirklichen Leben konnte so ein Spruch als rüde aufgefaßt werden.
Im nächsten Moment zuckte ihr Kopf in die Höhe. Was für ein absurder Gedanke! Als Nächstes würde sie sich noch bei den Kerlen entschuldigen, die sie an einen Stuhl gefesselt hatten und sie wahrscheinlich töten würden.
»Haben Sie sich wirklich eingebildet, wir wären auf Ihre Frechheiten hereingefallen, auf Ihr...«
»Das reicht«, fiel David Charles ins Wort. »Sie ist so gut wie tot, was willst du noch?«
Michael, dachte Emily. Vielleicht konnte er sie hören, wenn sie ihn in Gedanken rief, und ihr zu Hilfe kommen. Aber selbst ein Engel musste erfahren, wo er gerade gebraucht wurde. »Wo sind wir?«, fragte Emily, weil sie hoffte, Michael die Informationen telepathisch übermitteln zu können.
»In einem Staat, von dem Sie noch nie gehört haben«, sagte Statler, und die beiden anderen brachen in Gelächter aus.
»Wo haben Sie die Rubine gefunden?«, wollte Charles wissen. »Wir haben überall danach gesucht.«
Emily begriff erst nach einer Weile, dass er von dem Madison-Haus sprach. »Sie haben das Haus durchsucht? Aber ich habe keine Spuren entdeckt.«
»Halten Sie uns für Amateure? Wer hat wohl das Gerücht in die Welt gesetzt, dass es in dem Haus spukt?«, gab Charles hasserfüllt zurück.
»Aber es gibt tatsächlich einen Geist dort. Captain ...«, begann sie.
»Verschonen Sie uns mit diesen albernen Geschichten. Wo haben Sie die Rubine gefunden?«
»Mein ... Freund hat sie gefunden, aber ich weiß nicht, wo. Vielleicht sollten sie ihn fragen.« Wenn es ihr gelang, sie zu überreden, Michael hierher zu bringen, konnte er sie retten. Wie immer, wenn ihr Gefahr drohte, dachte sie mit Tränen in den Augen. Sei tapfer, Emily, sagte sie sich. Zumindest weißt du, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Doch selbst dieser Gedanke nahm ihr nicht die
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