Ein Engel fuer Emily
ich kann an Langeweile sterben - so sieht’s aus. Hast du gehört, was er gesagt hat? Er trinkt nicht, er raucht nicht, er tanzt nicht gern und mag keine hellen Farben. Er ist ein Musterknabe, und ich bin sicher, man baut einen ganz neuen Flügel im Himmel nur für ihn, wenn er schon bald von dieser Welt abberufen wird.«
Michael konnte über diesen Scherz nicht lachen. »Emily, du kennst dich selbst sehr gut.«
»Was soll das heißen?«
»Nichts Schlimmes, aber du hast den Hang, dich mit nicht gerade tugendhaften Männern einzulassen.«
»Mit Männern wie dir?«, gab sie zurück. »Du wirst vom FBI gesucht und hast oder hattest eine Frau, die dich erschießen wollte.«
»Für all das bin nicht ich verantwortlich.«
»Stimmt ja. Du bist nur ein Engel. Ein Engel, der mein Leben so auf den Kopf gestellt hat, dass ich nicht einmal mehr meine eigene Wohnung betreten kann.«
»Ich versuche nur, dich zu beschützen.«
»Wovor? Vor wem? Ich möchte ehrlich wissen, wer mich vor dir beschützt.« Mit diesen Worten machte Emily kehrt und ging.
Er lief ihr nach. »Wohin willst du?«
»Zur Tanzfläche.«
»Das tust du nicht«, bestimmte er und hielt sie zurück. »Ich kann dich in diesem Zustand nicht unter die Leute lassen. Wer weiß, was du dir aus schierem Trotz einfallen lässt?«
»In diesem Zustand?«, wiederholte sie. »Willst du damit sagen, dass ich hysterisch bin?«
»Du bist heute Abend so anders als sonst. Ich weiß nicht, ob es an dem Kleid oder an den Rubinen liegt, aber ich glaube fast, du bist imstande, etwas Schlechtes zu tun. Na ja, vielleicht nicht unbedingt etwas Schlechtes, aber...«
»Etwas Unartiges?« Sie zog eine Augenbraue hoch.
»Ja, ich glaube, das ist das richtige Wort.«
»Stimmt. Ich habe Lust, etwas ... etwas Ungeheuerliches anzustellen. Dies ist meine einzige Nacht als Aschenputtel, und ich möchte auf dem Ball tanzen. Ist das so schwer zu verstehen?«
»Natürlich nicht. Also schön, gehen wir. Ich glaube, ich kann ...»
»Du brauchst mir diesen Gefallen nicht zu tun. Ich finde schon selbst einen Tanzpartner.« Aber als Emily die Tanzfläche ansteuern wollte, verstellte er ihr den Weg. »Würdest du bitte zur Seite gehen?«
»Nein. Ich weiß nicht, was heute in dich gefahren ist, aber ich rate dir ernsthaft, zur Besinnung zu kommen. Möglicherweise ist dir diese Umgebung zu Kopf gestiegen.« Er starrte sie ungläubig an. -Emily, du siehst aus, als würdest du gleich in Tränen ausbrechen. Sollen wir nicht doch lieber gehen?«
Emily waren tatsächlich Tränen der Wut in die Augen getreten. Wahrscheinlich hatte sie nie wieder die Gelegenheit, ein solches Kleid zu tragen und auf einem solchen Ball zu tanzen, und sie duldete nicht, dass er ihr auch das noch verdarb. »Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gern auf die Toilette gehen. Oder ist das eine zu aufregende Unternehmung für eine so langweilige Person wie mich?«
»Nein, selbstverständlich nicht.« Er machte einen betretenen, ratlosen Eindruck wie alle Männer, die keine Ahnung hatten, womit sie sich den Zorn einer Frau zugezogen hatten. »Ich warte hier auf dich.«
Sobald Emily in der Damentoilette war, atmete sie tief durch, um sich zu beruhigen. Musste denn alles in ihrem Leben zu einer Enttäuschung werden? Sie hatte Donald geliebt und musste erkennen, dass er sie nur benutzt hatte. Sie war drauf und dran gewesen, sich in Michael zu verlieben, aber er würde niemals ganz zu ihr gehören. Und was sollte sie anfangen, wenn er sie verließ?
»Sie sehen nicht aus, als würden Sie sich amüsieren«, sagte eine ältere Frau, die neben Emily an dem langen Marmortisch vor einem der Spiegel saß. Anscheinend hatte sie schon tausend solcher Partys miterlebt und fand es weitaus interessanter, sich mit Frauen im Waschraum zu unterhalten, als sich in dem Gewühl zu tummeln.
Emily, die gerade ihre Lippen nachzog, konnte nur nicken. Sie hatte Angst, in Tränen auszubrechen, wenn sie auch nur ein Wort von sich gab.
»Gehört dieser große, kräftige Bursche, der draußen wartet, zu Ihnen?«, wollte die Frau wissen.
»Wollen Sie ihn haben?«, gab Emily zurück.
Die Frau lächelte. »Ist es so schlimm?«
Mehr als jemals zuvor verspürte Emily den Wunsch, jemandem ihr Herz auszuschütten. »Er ist eifersüchtig«, gestand sie. »Er hat mich an einen der abgelegensten Tische gesetzt und lässt nicht zu, dass ich tanze oder mich auch nur mit irgendjemandem anderem als mit einem alten Mann unterhalte, der mir von seinen guten
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